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Katrin Rönicke

Beate Uhse

Ein Leben gegen Tabus

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Typografische Gestaltung, Satz: Lanz, Wien

Lektorat: Christine Dobretsberger

ISBN ePub:

978 3 7017 4601 9

ISBN Printausgabe:

978 3 7017 3466 5

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Kindheit und Jugend

Kapitel 2: Luft und Liebe

Kapitel 3: Die ersten Jahre im Geschäft

Kapitel 4: Die Beate-Uhse-Story

Kapitel 5: Die Sexwelle reiten

Kapitel 6: Beate zwischen Roter mund und Uhse – zwischen Familie und Firma

Kapitel 7: Scheidung und Neuanfang

Kapitel 8: Die Pornowelle

Kapitel 9: Die Realteilung und ihre Folgen

Kapitel 10: Das Leben nach den Tabus

Nachwort

Danksagungen

Bibliografie

Vorwort

Die Marke »Beate Uhse« war laut Branchenberichten noch um die Jahrtausendwende 98 Prozent aller Deutschen bekannt – ein Bekanntheitsgrad, der viele andere Unternehmer japsen lässt. Ein Traumwert. Doch dieser Wert kam nicht aus dem Nichts. Bereits Ende der 1940er Jahre hatte Beate Rotermund, wie sie mit bürgerlichem Namen nach der zweiten Hochzeit hieß, ihr Versandgeschäft im Erotikbereich gestartet, das ab 1951 offiziell unter dem Namen »Beate Uhse« (der Name stammt aus ihrer ersten Ehe mit dem im Krieg verstorbenen Hans-Jürgen Uhse) an den Markt ging. Sie hatte also gut fünfzig Jahre Zeit gehabt, eine Marke zu etablieren, noch dazu in einem so begehrten Bereich. Doch genau diese Bekanntheit und das große öffentliche Interesse an ihrem Geschäft wie auch an ihrer Person, die immer stark mit dem Unternehmen verknüpft war, macht es heutigen Biografen schwer, die wirkliche Geschichte der Beate Rotermund, die am 25. Oktober 2019 100 Jahre alt geworden wäre, nachzuzeichnen.

Sie selbst hat zwei Autobiografien (zusammen verfasst mit Ulrich Pramann) vorgelegt, die erste 1989, pünktlich zu ihrem 70. Geburtstag, dann eine leicht überarbeitete Version, die 2001, ihrem Todesjahr, erschienen ist. Die darin geschilderte Geschichte jedoch ist nicht nur die Geschichte einer deutschen Frau, sie musste auch eine gute Geschichte sein, eine, die der Marke »Beate Uhse« keinen Schaden zufügte. Man tut deswegen gut daran, die geschilderten Episoden, die Beate Rotermund selbst aufgeschrieben hat (oder hat aufschreiben lassen), immer wieder kritisch zu hinterfragen: War das wirklich so? Oder ist das ein Teil des Marketings eines Millionenunternehmens? Um der Falle zu entgehen, eine Geschichte zu wiederholen, die mehr Marketing als echte Biografie ist, bezieht das vorliegende Buch seine Informationen so weit wie möglich aus Primärquellen, die einerseits aus dem Umfeld Beate Uhses stammen (Familie und Mitarbeiter) und andererseits aus Archivmaterial. Hierbei wird auffallen, dass es teilweise Abweichungen von der bisher verbreiteten Geschichte gibt. Etwa bei den Schilderungen über die sogenannte »Schrift X«, mit der Beate Rotermund Frauen in der Nachkriegszeit über die Verhütungsmethode nach Knaus-Ogino informierte (eine frühe Version der heute »Natürliche Familienplanung« genannten Methode, die versucht, den Zyklus und damit die fruchtbaren Tage der Frau vorherzusagen). In ihrer Autobiografie und auch im Film »Beate Uhse – Das Recht auf Liebe« (mit Franka Potente in der Hauptrolle) wird es stets so dargestellt, als sei die Idee, die Schrift X zu verbreiten, allein aus dem Drang entstanden, den Frauen in der Nachkriegszeit zu helfen. Sie aufzuklären und vor den sogenannten »Engelmachern«, wie windige Abtreibungs-Anbieter in der Zeit genannt wurden, zu bewahren. Denn Abtreibungen waren, durch ihre Illegalität und auch gesellschaftliche Stigmatisierung, in der Regel eine für die Frau gefährliche Angelegenheit. Bei der Recherche für dieses Buch berichteten der Adoptivsohn Dirk Rotermund sowie ein ehemaliger Angestellter bei Beate Uhse, dass diese Darstellung der Geschichte dem Kopf eines ebenfalls bei Beate Uhse angestellten Werbetexters entsprang. Beate Rotermund sei nach dem Krieg schlicht auf der Suche nach Möglichkeiten gewesen, Geld zu verdienen. Sie habe weniger aus einer idealistischen, als vielmehr aus einer geschäftlichen Motivation heraus mit dem Vertrieb dieser berühmten Schrift X begonnen. Diese von den beiden als »die Beate-Uhse-Story« bezeichnete und geschönte Version ist also ein Teil der Firmen-PR gewesen und so sind es vermutlich auch einige weitere Teile in der bislang über Beate Uhse / Rotermund bekannten Biografie. Dieses Buch versucht deshalb eine Abgrenzung durch Fakten (soweit bekannt und verfügbar) von der »Beate-Uhse-Story«.

Die Biografie von Beate Uhse / Rotermund ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte, das einen tiefen Blick in die gesellschaftlichen Veränderungen der Bundesrepublik Deutschland wirft. Das betrifft die unmittelbare Nachkriegszeit, den Kampf für eine moderne Sexualmoral und eine ebenso moderne Gesetzgebung (bis in die 1970er Jahre), die Veränderungen, die mit dem Ende des Sozialismus einhergingen, sowie auch die Disruptionen, die schlussendlich das Internet gerade auch für den Erotik-Fachhandel mit sich brachte. Das Leben, das Beate Rotermund führte, stand mit fast allen diesen Herausforderungen in enger Wechselbeziehung und sie selbst hat es stets gut verstanden, ihr Geschäft und dessen Entwicklung wie auch Fortbestand bestmöglich an die neuen gesellschaftlichen Umstände anzupassen. Man kann es nicht anders sagen: Beate Rotermund war eine der erfolgreichsten Geschäftsfrauen der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Hinter dieser Geschäftsfrau allerdings konnte sich die private Beate relativ gut verstecken. Sie hat stets selbst bestimmt, wie diese Privatperson im Spiegel der Medien erscheint. Mit nur einer Ausnahme: Das Ende ihrer Ehe mit Ernst-Walter Rotermund, kurz: Ewe, Anfang der 1970er Jahre wurde, vor allem durch dessen Eigeninteresse, einer Mischung aus Rache und Gier, breit und von Beate Rotermund nicht mehr kontrollierbar durch die Boulevardpresse zu einem Skandal aufgebauscht. Allen voran die BILD-Zeitung, an die der Ex-Ehemann sich immer wieder mit vermeintlich brisantem Material und pikanten Einblicken in das Privatleben der früheren Eheleute wandte. So landete die Geschichte der Affäre mit einem 25 Jahre jüngeren schwarzen Lehrer aus New York, John Holland, in der Öffentlichkeit, die sich einige Zeit wie eine Hyäne daraufstürzte. Eine Geschichte, die Beate natürlich irgendwie in ihrer Autobiografie aufgreifen musste, da sie ja längst in der Welt war, die sie aber wie alles in ihrem Leben als eine Happy-End-Geschichte aufbereitete, eine, in der ihr schwarzer Freund und sie selbst sich mit Liebe, Zärtlichkeit und engem Vertrauen zehn Jahre lang verwöhnten. Dass sie viele Jahre nach dieser Episode ihrem John einen barschen Brief schrieb, in dem von Liebe und Vertrauen keine Rede mehr sein kann, das findet man in ihrer eigenen Version natürlich nicht – dafür aber in den vielen Unterlagen des Beate-Uhse-Archivs in der FZH (Forschungsstelle für Zeitgeschichte) in Hamburg.

Im vorliegenden Buch kommen daher zum ersten Mal auch einige der wahren Geschichten hinter der »Beate-Uhse-Story« zum Vorschein. Facetten, die manches Mal das Heroische unterminieren, oft aber auch das allzu Menschliche der Person Beate Rotermund untermauern.

»Alle nannten sie Beate«

Beate Uhse heißt seit der Eheschließung mit Ernst-Walter Rotermund mit bürgerlichem Namen Beate Rotermund, die von ihr gegründete Firma heißt aber nach ihrem ersten Ehemann: Uhse. Deswegen wird im vorliegenden Buch der Name »Beate Uhse« nur zur Bezeichnung der Firma verwendet. Um die Privatperson hinter der Firma zu benennen, wird entweder von »Beate Rotermund« die Rede sein, oder einfach nur von »Beate« – so wie es in der Firma und im gesamten Bekanntenkreis auch üblich war.

Kapitel 1:

Kindheit und Jugend

Beate Köstlin wurde als drittes Kind des Landwirts Otto Köstlin (1871–1945) und der Ärztin Margarete Köstlin-Räntsch (1880–1945) am 25. Oktober 1919 in Wargenau bei Cranz im damaligen Ostpreußen geboren.

Sie war eine kleine Nachzüglerin nach ihrem zwölf Jahre älteren Bruder Ulrich und der zehn Jahre älteren Elisabeth. Doch das hat Beate stets als großen Vorteil empfunden. Wer als Eltern schon zwei Kinder großgezogen hat, den kann so schnell nichts mehr aus der Fassung bringen. »Sie waren gelassen geworden«, schrieb Beate in ihrer Autobiografie1, »sie ließen sich nicht mehr verrückt machen und mich ziemlich wild aufwachsen.«

Otto Köstlin war ein Landwirt aus Schwaben, dem das Gut des Vaters nicht vergönnt gewesen war, da dies traditionell an den erstgeborenen Sohn zu gehen hatte. Otto jedoch war der drittjüngste. Dennoch wollte er gern den Beruf des Vaters ergreifen. Er studierte Landwirtschaft, wurde landwirtschaftlicher Assistent und schließlich Pächter einiger Höfe und Güter, zuletzt in Quarnbek bei Kiel. Als 1917 der Besitzer dieses Gutes Eigenbedarf anmeldete, beschlossen die Köstlins, dass es Zeit war, ein eigenes Gut zu kaufen und zu bewirtschaften. Wargenau in Ostpreußen war für die junge Familie genau richtig, denn es war trotz seiner Größe durchaus erschwinglich, was vor allem daran gelegen haben dürfte, dass es auf der Landkarte wirklich weitab vom Schuss – eben in Ostpreußen, nahe Cranz (das heute Selenogradsk heißt) – lag und ein Badeort an der russischen Samlandküste ist. In Cranz sollte Beate später, wenigstens kurz, die Schule besuchen. Der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Patrick White schrieb einst über Cranz, das er in den 1930er Jahren besucht hatte: »Ich erinnere mich an das kleine Ostseebad Cranz, am Rande der Stadt bis zu den Knöcheln in den schweren weißen Sand einsinkend, genauso wie in den Straßen mit den weißgekalkten Holzhäusern, auf denen das Licht dicht und golden wie der Bernstein lag, der entlang der Küste gefunden wurde. (…) es war aus der Zeit gefallen und hatte keine Verbindung zu irgendeinem Land, das ich besucht hatte.«

Margarete Köstlin-Räntsch, Beates Mutter, war nun nicht irgendjemand. 1880 als Tochter des Brauereidirektors Friedrich Carl Leopold Räntsch in Berlin geboren, ist sie in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen – dabei mangelte es nicht an Bildung und Ausbildung: Sie besuchte eine Höhere-Töchter-Schule, wo sie Latein und Altgriechisch lernte. Und sie hatte das Glück, eine wichtige Persönlichkeit der deutschen Frauenbewegung nicht nur kennenzulernen, sondern auch von ihr unterrichtet zu werden: Helene Lange. Als Margarete Räntsch zur Schule ging, war für Mädchen das Abitur nicht vorgesehen – etwas, wogegen Helene Lange sich entschieden stellte. Nicht nur schrieb sie Brandbriefe gegen die Bildungsungerechtigkeit, der Mädchen damals ausgesetzt waren, sie gründete auch eigene Kurse, die es Mädchen ermöglichen sollten, das Abitur ganz genau wie die Jungen zu machen. 1896 konnten dank dieses Engagements zum ersten Mal sechs Schülerinnen am Königlichen Luisengymnasium in Berlin das Abitur machen und so, 15 Jahre später, auch Margarete Räntsch – die Nummer 30 auf der Liste aller dokumentierten Mädchen, die auf diese Weise doch zum Abitur gelangten. Beates Mutter war damit eine der Pionierinnen der deutschen Frauenemanzipation. Und sie setzte noch eins drauf: An der Universität Würzburg war sie eine von drei Frauen, die als erste dort studieren durften, und die erste überhaupt, die einen Doktor der »Hohen Medizinischen Fakultät« erlangte. In einem späteren Briefwechsel mit der Berliner Gesellschaft für Geschichte der Medizin schrieb Beate Rotermund:

»Wieso Margarete Medizin studierte weiss ich nicht – hat sie nie von gesprochen. Ich denke: – sie wollte es einfach.«2

Sie wollte es und sie wurde eine der ersten Ärztinnen in ganz Deutschland. Was ebenso wichtig und durchaus damals nicht selbstverständlich war: Auch nach der Ehe praktizierte Margarete weiter als Ärztin. Das hatte sie gegenüber ihrem Ehemann, Otto Köstlin, den sie 1907 kurz nach ihrem Examen heiratete, als Bedingung für die Ehe durchgesetzt. Und so wurde sie Kinderärztin in Kiel, während sich Otto um das gepachtete Gut in Quarnbek kümmerte.

Auch Otto war nach Beates Berichten in ihrer Autobiografie ein überaus moderner Mann: Auf dem Gut Wargenau gab es Elektrizität, was damals noch überhaupt nicht üblich war, alle anderen in der Gegend machten sich weiterhin mit Petroleum Licht. Und weil Otto Köstlin den Fortschritt mochte, schaffte er auch eine Wasserleitung und ein Spülklo an, »was Luxus hoch drei war«, wie Beate schrieb. Später gab es sogar ein Telefon, was vor dem Zweiten Weltkrieg eine Seltenheit war, die Nummer: 225. Doch nicht nur die modernen technischen Errungenschaften waren Otto Köstlin eine Freude, auch in der Landwirtschaft experimentierte und probierte er gerne, züchtete Pflanzensorten, die besonders ertragreich oder wetterfest waren, und machte sich damit einen Namen in seinem Metier. »Köstlins Sommergerste« tauchte sogar in einem landwirtschaftlichen Forschungsbericht der Universität Bonn auf, der sich der »Erhaltung der genetischen Diversität bei Getreide« widmete.

Die Jahre 1914 bis 1918 waren aber auch in Wargenau vom Krieg geprägt. Diese Episode beschreibt Beate Rotermund nicht sehr ausführlich, vermutlich, weil sie nie mehr die Gelegenheit bekam, ihren Vater nach dieser Zeit zu befragen. Sie erwähnt nur, dass Otto Köstlin im Krieg verwundet wurde, im Lazarett landete und wohl auch in Kriegsgefangenschaft gewesen sei. Zu ihrer Geburt jedoch, im Oktober 1919, war er – zu ihrem Glück – da. Beate kam nämlich mit der Nabelschnur um den Hals auf die Welt, sie war aufgrund des Sauerstoffmangels bereits blau angelaufen. Der Vater konnte sie aus dieser misslichen Lage erlösen, Geburten kannte er immerhin von seinen Kühen. So zumindest schildert es Beate Jahrzehnte später.

An eine andere Episode aus dieser Kriegs- und Nachkriegszeit erinnert sie sich jedoch, eine Geschichte, die ihre Mutter Margarete ihr berichtete: Beate sei erst ein paar Monate alt gewesen, als die »Roten Matrosen«, über die Klaus Kordon viele, viele Jahre später sein berühmtes Buch schreiben sollte, nach Cranz und auch Wargenau kamen. »Meine Mutter behauptete, ich hätte sie einmal gerettet, da war ich gerade ein paar Monate alt. Es war, als die roten Matrosen, marodierende Horden kommandoloser Kommunisten, die der Krieg ausgespuckt hatte, Russland verließen und Ostpreußen unsicher machten.« So ganz stimmt das mit den roten Matrosen allerdings nicht. Der Historiker Wolfgang Niess ordnet diese Passage aus Rotermunds Erinnerung etwas anders ein:

»Nach meiner Einschätzung dürfte es sich eher um rechtsgerichtete Freikorps gehandelt haben, die im Baltikum gegen die revolutionären Truppen der Bolschewiki gekämpft haben. Diese Einheiten wurden in dieser Zeit aus dem Baltikum abgezogen.«

Von einer Horde deutscher kommunistischer Matrosen, die auf Seiten der Bolschewiki gekämpft haben und zu diesem Zeitpunkt nach Ostpreußen gekommen sein sollen, hat er noch nie gehört.

Beates Kindheit

Das große Gut Wargenau war eine perfekte Spielwiese für ein neugieriges Kind wie Beate. Der Vater hielt über 100 Milchkühe, es gab einen Hund und bereits mit drei Jahren lernte die kleine Beate auf einem der über 30 Pferde reiten – sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die das keine so gute Idee fand und sich große Sorgen machte. Doch Otto Köstlin, der selbst viel und gerne ritt, fand seine Tochter alt genug dafür und setzte sie kurzerhand auf das friedliche und treue Pferd der Mutter, von dem Beate nach eigenen Angaben nie herabgefallen ist. Das Gute war, dass Beate ihren Vater nun bei dessen Ausritten auf dem großen Gelände des Guts begleiten konnte. Bei diesen Streifzügen erklärte er ihr alles, was er selbst über die Tiere und Pflanzen wusste, und verankerte damit eine große Liebe zur Natur und Landwirtschaft in seiner Tochter, die diese bis ins hohe Alter in sich trug, wie Angehörige und Bekannte bestätigen können, die ihren stets gut bestückten und vorbildlich gepflegten Garten kannten. Aber das war viel später erst, lange nach dem Krieg und weit, weit weg von Wargenau.

Auch die Sexualaufklärung des Kindes fand an praktischen Beispielen auf dem Gut statt: Da waren zum Beispiel ein besonders kräftiger Bulle und eine Milchkuh, die besonders viele Liter jeden Tag gab. Diese beiden wurden ausgewählt, miteinander Nachwuchs zu zeugen, und Beate konnte zuschauen, wie der Bulle die Kuh deckte. Dieser praktischen Erfahrung, der sie beiwohnen durfte, folgte dann die theoretische Einordnung durch die Mutter, die ihr genau erklärte, wie der Samen des Bullen das Ei der Kuh befruchtete und daraus eben ein Kind entstand. Aus diesen einfachen Tatsachen der Natur machten die Eltern keinen großen Hehl und schon gar kein Drama – das gehörte eben zum Leben dazu. Ob in der Landwirtschaft oder in der Medizin. »So wurde die Sache mit dem Sex für mich von Anfang an ein natürlicher Bestandteil meines Lebens«, schrieb Beate später.

Offen und liberal war auch die restliche Erziehung, die Beate bei ihren Eltern genoss, es gab kaum Verbote: »Nur vier Dinge durfte ich nicht: Ich durfte nicht außerhalb unseres Hofes spielen, ohne vorher Bescheid zu sagen; ich durfte nicht zu spät zum Essen kommen; ich durfte nicht lügen; ich durfte keine kleineren Kinder schlagen. Und ich musste meine Schulaufgaben machen.«3

Beate durfte vieles, was damals gerade für Mädchen nicht üblich war. Zum einen so banale Sachen wie Lederhosen tragen. Das war normalerweise nur Jungen vorbehalten, Mädchen trugen Schafwollstrümpfe und dazu ein Leibchen, die Strümpfe aber hasste Beate so sehr, weil sie kratzten, dass ihr Vater ihr eine ordentliche Lederhose bestellte. Zum anderen durfte Beate aber auch träumen. Zum Beispiel davon, einmal Kapitän zu werden. Die meisten haben sie dafür ausgelacht, denn ein Mädchen kann kein Kapitän werden – so viel stand fest. Als sie jedoch ihren Vater um dessen Einschätzung bat, sagte er: »Weißt du mein Kind, wenn man im Leben etwas wirklich will, dann kann man es auch. Natürlich musst du bereit sein, allerhand dafür zu tun, viel zu lernen und viel zu arbeiten. Und es könnte zum Beispiel sein, wenn du Kapitän werden willst, dass du nach Russland auswandern musst. Denn gerade habe ich gelesen, dass die russische Flotte soeben die ersten weiblichen Kapitäne eingestellt hat.« Es kommt also nicht von ungefähr, dass Beate ihren Vater in ihrer Autobiografie als »wichtigste Stütze« in ihrem Leben bezeichnete. Er prägte sie so sehr und ihre Liebe war so innig, dass sie auch später noch sagte: »Mein ganzes Leben lang liebte ich Männer, die so waren wie mein Vater. Er gab mir unendliche Geborgenheit und Sicherheit.«

Und wo der Vater diese Ideale prägte, war es die Mutter, die von Beate als »fleißig, fast auf beängstigende Weise fleißig« beschrieben wurde. »Meist war meine Mutter ernst und vernünftig. Sie war scharfsinnig, und nach außen wirkte sie kühl. Aber sie war eine liebevolle Person. Mit diplomatischem Geschick verwandelte sie einfache Landpomeranzen in perfekte Hausmädchen.«4 Dass diese Frau überdies auch noch ihren Kopf durchgesetzt und entgegen allen Konventionen das Abitur gemacht, studiert und als Ärztin gearbeitet hatte, sollte ebenso einen starken Eindruck auf die Tochter gemacht haben, und vielleicht hat es dazu beigetragen, in späteren Tagen, als es darum ging, dass Beate sich selbst und ihr Geschäft sogar vor Gericht verteidigen musste, dass sie nie klein beigab. Oder schon viel früher, als Beate Opfer eines Erziehungsversuches durch die große Schwester wurde, die, wie in der Autobiografie geschildert wird, nicht einverstanden war mit dem größtenteils »jungenhaften« Auftreten des Nesthäkchens. Nicht nur, dass Beate viel lieber mit den Jungen in der Umgebung spielte und herumtollte, sie lehnte darüber hinaus Puppen, das typische Spielzeug für kleine, brave Mädchen, mit voller Inbrunst ab. Elisabeth »Etti« Köstlin, die nach der Schule nach Berlin gegangen war, um am Pestalozzi-Fröbel-Haus eine Ausbildung zur Kinderpflegerin zu machen, war zu der Überzeugung gekommen, dass ihre jüngere Schwester Beate nicht nur komplett verzogen, sondern dass es für Mädchen wichtig war, mit Puppen zu spielen. Sie selbst hatte welche gehabt und die wollte sie nun Beate regelrecht aufzwingen: Als diese jedoch ablehnte, mit den »Scheißpuppen« zu spielen, sperrte Elisabeth die Kleine mit den Puppen ins Bad, drohend, sie dürfte erst wieder rauskommen, wenn sie zwei Stunden brav mit den Puppen gespielt habe. »Ich war wütend, wahnsinnig wütend, jähzornig – ich hätte meine Schwester erwürgen können. Stattdessen ertränkte ich die Puppen in der Badewanne. Bei einer ging gleich ein Arm ab, bei anderen lösten sich die Perücken und alle wirkten furchtbar mitgenommen.« Nach dieser Episode habe »Etti« wenigstens nie wieder versucht, die kleine Schwester nach ihrem Sinne zu erziehen, so schließt Beate.5

Puppen waren ihr also herzlich egal – wofür sie sich aber schon früh, sobald sie lesen konnte, sehr interessierte, das war die Fliegerei. Zum Staunen habe sie insbesondere die Geschichte des Ikarus gebracht, der bekanntlich so einen starken Drang hatte, fliegen zu können, dass er sich kurzerhand Flügel bastelte. Diese funktionierten, doch als er eines Tages der Sonne zu nahe kam, schmolz das Wachs, mit dem die Flügel zusammengeklebt waren. Letztlich kostete ihn sein Traum, der kurz Wirklichkeit geworden war, am Ende das Leben. Eine Geschichte, die nicht dazu beitrug, Beate vom Fliegen abzuhalten – im Gegenteil! Nach eigenen Angaben habe sie versucht, es dem Ikarus gleichzutun. Sie baute sich eigene Flügel, Federn gab es dafür auf dem großen Hof genug – von Gänsen und Hühnern. Sodann mussten die Flügel natürlich auch probiert werden und so sprang sie erst aus einer Höhe, die ein Mensch auch ohne Flügel unbeschadet überstehen kann, auch um zu testen, ob es einen Effekt habe, mit den Flügeln zu springen. Der Versuch zeigte: Die Flügel trugen vergleichsweise überhaupt nicht zu einem besseren Sprungerlebnis bei – irgendwas funktionierte nicht! Und ähnlich der kleinen Madita in Astrid Lindgrens gleichnamiger Geschichte beschloss sie, dass sie von einem höheren Ort springen müsste, um die Flügel richtig benutzen zu können: die Spitze des Verandadaches. Sie sprang, aber vom Fliegen konnte nicht die Rede sein – das Kind holte sich Prellungen und blaue Flecken und konnte von Glück sagen, dass nichts gebrochen war. So zumindest die Schilderung in ihrem Buch – ob es sich wirklich so zugetragen hat, können wir heute niemanden mehr fragen. Aber eines ist sicher: Das Fliegen, das hat es Beate Uhse angetan und es wird ihr Leben lang eine wichtige Rolle spielen.

Beates Schulen

Beate ging zunächst auf die Volksschule in Wosegau, das war die nächstgelegene Schule, dort gingen alle Dorfkinder hin. Margarete Köstlin-Räntsch allerdings empfand diese Schule bald als nicht mehr gut genug für ihre Tochter, insbesondere, weil diese mehr und mehr den Slang der dortigen Dorfbewohner sprach – ein dicker ostpreußischer Dialekt. Also wurde das Mädchen kurzerhand von der Schule genommen und ins gehobenere Cranz geschickt, drei Kilometer weit entfernt vom Gut. Beate ritt meistens – zum Entzücken ihrer Klassenkameraden – mit dem Pferd, auf dem sie mit drei Jahren das Reiten gelernt hatte, zur Schule. Für Beate war dies nichts Besonderes, sie ritt täglich, das war für sie ebenso selbstverständlich, wie wir heute vielleicht das Fahrrad benutzen. Für die Stadtkinder in Cranz war es eine Attraktion!

Doch auch in Cranz sollte Beate nicht lange bleiben – die Mutter hatte ja Großes mit ihr vor, sie, die selbst studiert hatte und Ärztin geworden war, wollte ihrer Tochter auch alle Wege offenhalten und sie fand, dass die Cranzer Schule ihr Kind in dieser Hinsicht unterforderte. Das Gymnasium in Königsberg sollte es auch nicht werden, sondern man entschied sich für einen außergewöhnlichen Schritt: Beate wurde in das Landschulheim »Schule am Meer im Loog« auf Juist geschickt. In Königsberg wäre Beate ohnehin durch die 42 Kilometer Entfernung zum heimischen Gut in Wargenau dazu verdammt gewesen, dort wohnen zu müssen, ganz alleine. Also sah man sich direkt nach einer Schule um, die Margaretes und Ottos Vorstellungen von moderner Erziehung und Liberalität entsprach – und dies war eben auf der Nordseeinsel Juist gegeben.

Landschulheime, oder wie es die offizielle Bezeichnung war: Landerziehungsheime, sind Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und waren Internate, die der Reformpädagogik entsprangen. Reformpädagogik war eine Strömung – heute würde man sagen: der Erziehungswissenschaften –, die eine »Pädagogik vom Kinde aus« vertrat. Schulen sollten daher keine reinen Lehranstalten sein, sondern Lern- und Lebensorte und auch eine Heimat für die Schülerinnen und Schüler. Und in Juist setzte vor allem der Pädagoge Martin Luserke (er gilt heute als eine Koryphäe der Theater- und Erlebnis-Pädagogik) diese Ideale auf seine Weise um. Der Musikpädagoge Kurt Sydow schrieb einst über Luserke: »Luserke suchte für die Schule an der Meeresküste, der nordischen Urheimat, einen Ort, an dem die Gezeiten von Ebbe und Flut in ihrem Auf und Ab den Menschen in eine innere Bewegtheit bringen. Er suchte eine Umwelt – in diesem Falle eine Inselwelt –, die herausfordert zur Selbstbehauptung im Tun. Daß dieses Tun auch praktische Arbeit bedeutet, war in einer derartigen Umwelt selbstverständlich und gehörte zu Leben und Erziehung, zur Lebensgestaltung überhaupt.«6 Herausgefordert zur Selbstbehauptung im Tun war nun also auch Beate Köstlin! Und das passte natürlich gut zu ihr. Auf der Schule am Meer waren 180 Kinder, die Mehrzahl waren Jungen. Aber das machte Beate nichts aus – im Gegenteil, hatte sie ja ohnehin immer schon lieber mit den Jungen gespielt. Auf Juist konnte sie sich außerdem auch im Hochsprung, Hockey und Speerwerfen mit ihnen messen – und mithalten. Und sie durfte mit Luserke ein echtes Abenteuer erleben: Der nämlich holte jenes Boot, das später als »schwimmende Dichterwerkstatt« bekannt wurde. Die »Krake« stammte aus den Niederlanden und als sie von Zoutkamp geholt werden musste, war Beate Köstlin mit dabei. Gemeinsam mit den Schüler*innen von Juist machte Luserke das Boot vom Typ Blazer wieder bewohnbar und in den Schul- und Semesterferien segelten Luserke und einige Schüler*innen – natürlich war Beate auch hier wieder dabei – damit durch das ost- und westfriesische Küstengewässer. Und wenn es abends ab in die Kojen ging, dann las Luserke seine selbst geschriebenen Seefahrtsgeschichten vor – kann man sich als Kind etwas Besseres vorstellen?

Die Odenwaldschule

Die Schule am Meer auf Juist wurde 1934 geschlossen und das nicht ganz freiwillig. Konkret stand dies in direktem Zusammenhang mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Schule und Volksbildung gehörten fortan zur Politik, wurden ihr und ihren Zielen untergeordnet – vorbei war es mit der Autonomie und der Freiheit, beides stets Leitziele Luserkes wie auch der ganzen Schule. Hinzu kam erschwerend, dass sich auch innerhalb des Kollegiums die Kontroversen zu verschlimmern begannen, die ganz Deutschland spalteten. Zwar blieben zunächst Privatschulen vom direkten Eingriff durch die Politik verschont, doch der damalige Juister Bürgermeister hatte es auf die Schule abgesehen: Seiner Meinung nach sollte eine »Nationalpolitische Erziehungsanstalt« daraus werden. Es war ein Zerren um Ideologien und Luserke, der sich zunächst nicht grundsätzlich gegen die politische Ausrichtung des NS-Regimes aussprach, wohl aber pädagogisch komplett andere Vorstellungen hatte (er erzog schließlich kritische, antimilitaristische und gleichberechtigte Individuen – etwas das im Nationalsozialismus so gar nicht wirklich vorgesehen war), gab auf und räumte 1934 das Feld.

Für Beate Köstlin musste fortan eine neue Schule gefunden werden – eine, in der sie, die nun schon Jugendliche war, weiter ihrem freien Geist und ihrer gleichberechtigten Selbstentfaltung nachgehen durfte. Das war alles andere als leicht, denn der nationalsozialistische Umbau ganzer Gesellschaftsbereiche schritt unaufhörlich fort. Am Ende wurde es die Odenwaldschule, die es auch nach 1934 weiterhin gab, obwohl ihre Gründer Edith und Paul Geheeb das Land verließen, um in der Schweiz eine neue Schule zu gründen. Zu Beates Glück wurde die Odenwaldschule erst 1939 endgültig gleichgeschaltet, nachdem ihr in Berlin bescheinigt wurde, dass sie dem »Sinn der nationalsozialistischen Erziehungsgemeinschaft widerspricht«. – Aus heutiger Sicht ein Kompliment an die Schule, die damit länger als viele andere ein Ort der Freiheit geblieben war. So gut das eben ging. Denn natürlich war der nationalsozialistische Erziehungseifer auch hier nicht komplett ausgespart, totalitäre Regime haben die unangenehme Angewohnheit, auf alle Bereiche des Lebens überzugreifen. Und so kam es, dass auch Beate Köstlin Mitglied der Hitlerjugend, kurz HJ, wurde.

In ihrer Autobiografie tut sie diese Phase als beinahe unbedeutend ab. Keine weitere Erwähnung findet auch die Rolle des Nationalsozialismus bei der Schließung des Landschulheims auf Juist. Sie schreibt nur knapp: »Das Landschulheim in Juist hatte finanzielle Probleme bekommen und musste schließen. Die pädagogischen Ziele der Odenwaldschule waren sehr schülerfreundlich.«7 Die Zeit an der Odenwaldschule, die sie mit 16 Jahren, also etwa 1935/36 verließ, sei ein Spaß gewesen. Dass sie zur HJ gekommen sei, sei vor allem wegen des Sports gewesen. Beate war eine Sportskanone – sie nennt es selbst ihre große Liebe. Mit 15 Jahren hessische Meisterin im Speerwerfen – das muss man auch erst einmal schaffen. Und weil sie im Sport so gut war und sich der Hitlerjugend angeschlossen hatte, wurde sie glatt Fähnleinführerin des BDM (Bund Deutscher Mädel). »Was wussten wir denn schon von Hitler und dem eigentlichen Sinn der Hitlerjugend? Nichts.« – Schreibt sie Jahrzehnte später und damit ist die Sache gegessen.

Der Aufenthalt in England

Das Fliegen war schon früh ein Faszinosum für Beate und obwohl die Mutter es gerne gesehen hätte, dass ihre Tochter das Studium der Medizin beginnt und in ihre Fußstapfen tritt, hatte die mal wieder ihren eigenen Kopf. »Mir steckte damals schon die Fliegerei im Kopf. Ich war wie besessen davon, Pilotin zu werden.«8 Da in der Fliegersprache das Englische immer schon sehr präsent war (bis heute prägen sie viele Anglizismen), sah Beate sich gezwungen, zunächst einmal diese Sprache zu lernen. Weil sie stets praktisch veranlagt war und sich vor möglichen Abenteuern in der Ferne nicht scheute, überredete sie ihren Vater zu einem Auslandsaufenthalt als Au-pair in England. Sie landete in Aberystwyth, ein kleines walisisches Seebad – wieder Küste und Meer, Beate liebte es dort. Nicht so sehr aber liebte sie den Job, den sie zu erledigen hatte. Wie viele Au-pair-Mädchen-Generationen nach ihr sollte auch Beate Köstlin von ihrer Familie ausgenutzt werden. Erst nach vier Monaten fand sie eine andere Familie, in der sie bessere Arbeitsbedingungen vorfand, dort blieb sie bis zum Ende ihrer Au-pair-Zeit. »Ich hatte nicht einmal Heimweh«.

Nur ihr damaliger Freund, der fehlte ihr. Sie schrieben sich regelmäßig Briefe und schworen sich Treue – die Beate nach eigenen Angaben auch einhielt.

Kapitel 2:

Luft und Liebe

Das Fliegen hatte es Beate ja schon als Kind angetan. Und es ließ sie auch später nicht los. Nach ihrem Aufenthalt in England wurde sie aber von ihrer Mutter dazu verdonnert, bevor es irgendwie weiterging, egal ob Studium oder wohin auch immer es ihre Tochter verschlug, ein Haushaltsjahr einzulegen. Beate sollte alles lernen, was man können musste, um einen Hof wie den ihrer Eltern haushälterisch zu führen. Das bedeutete: