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Lou Lorenz-Dittlbacher

DER PREIS DER MACHT

Österreichische Politikerinnen blicken zurück

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

www.residenzverlag.at

© 2018 Residenz Verlag GmbH

Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

Umschlaggestaltung und grafische Gestaltung/Satz: BoutiqueBrutal.com

eISBN 978-3-7017-4588-3

Inhalt

Vorwort

Gabi Burgstaller

»Ohne dicke Haut hat man es nicht leicht in der Politik«

Brigitte Ederer

»Politik ist extrem spannend, aber auch extrem kränkend«

Benita Ferrero-Waldner

»In Österreich traut man den Frauen noch nicht so viel zu«

Waltraud Klasnic

»Wenn man die Politik ernst nimmt, dann hat man Mensch zu sein«

Ulrike Lunacek

»Ich habe verloren und ich habe gewonnen – ich habe beides erlebt«

Maria Rauch-Kallat

»Ich habe einen hohen Preis bezahlt. Aber er war es wert«

Susanne Riess

»Mutti, Mäderl oder Furie. Dazwischen gibt es nichts«

Heide Schmidt

»Man macht sich keine Vorstellung von den Selbstzweifeln einer Politikerin«

Nachwort

Lebensläufe

Dank

Vorwort

Es war einer dieser Tage, die dem November einen so schlechten Ruf verschaffen. Es war grau, kalt und feucht. Als ich meiner damals sechs Jahre alten Tochter, wie immer vor dem Schlafengehen, noch etwas vorlas, wollte nicht so recht Ruhe einkehren. Ich las und war nicht wirklich bei der Sache. Wohl, weil ich wusste, dass die folgende Nacht lang werden würde. Als ich das Zimmer meiner Tochter verließ, war ich ganz sicher: In der Früh würde ich ihr sagen können, dass eine Frau im Jahr 2016 alles erreichen kann. Dass der Weg nach ganz oben frei ist. Dass es Frauen ins Berliner Kanzleramt schaffen können, in die Londoner Downing Street und nach dieser Nacht dann wohl auch ins Weiße Haus. Gute Vorzeichen also für ein kleines Mädchen mit großen Träumen.

Als es dämmerte, war endgültig klar, dass ich am Frühstückstisch eine andere Geschichte erzählen würde. Denn nicht Hillary Clinton, sondern Donald Trump wurde an diesem 9. November 2016 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Ein Mann, der wenige Wochen vor der Wahl mit höchst fragwürdigen Aussagen Schlagzeilen gemacht hatte: Als er bekundete, als Prominenter von schönen Frauen alles bekommen zu können, was er denn nur wolle, hielten viele die Wahl für entschieden. Zugunsten seiner Konkurrentin. Aber auch Aussagen wie »Wenn du ein Star bist, lassen sie dich das machen. Pack sie an der Pussy, du kannst alles tun«, hielten ihn – ebenso wie zahlreiche Belästigungsvorwürfe – auf seinem Weg ins Weiße Haus nicht auf.

»Wir haben gesehen, dass dieses Land gespaltener ist, als wir geglaubt haben«, sagte die unterlegene Hillary Clinton am Tag nach der größten Niederlage ihres politisches Lebens. Erklärungsversuche, warum es doch nicht zum prognostizierten Sieg der Demokratin gekommen war, hallen bis heute nach: zornig seien die Menschen gewesen, misstrauisch den Eliten gegenüber. Und dieses Misstrauen gelte eben ganz besonders der Familie Clinton. Aber es gibt ein noch viel simpleres Erklärungsmodell: Vielleicht hat hier einfach nur ein Mann über die Frau gesiegt, weil ihr zu wenige Menschen zugetraut haben, dieses Amt ausfüllen zu können. Ihr, der Frau. Im Zweifel für den männlichen Kandidaten, quasi.

Als Hillary Clinton zehn Stunden nach dem Wahlsieger vor die Kameras trat, war meine Tochter gerade von der Schule nach Hause gekommen. »Ich weiß, dass wir weiterhin die Gläserne Decke nicht haben zertrümmern können, aber irgendwann wird es jemand tun – hoffentlich früher, als wir jetzt denken mögen. Und an all die kleinen Mädchen, die dies hier verfolgen: Zweifelt nie daran, dass ihr wertvoll seid und mächtig und jede Chance und Gelegenheit in der Welt verdient, eure Träume zu verfolgen und zu verwirklichen.« Wahrscheinlich war es Clintons stärkster und emotionalster Auftritt. Aber dass sie ausgerechnet in diesem Moment an das Durchstoßen der Gläsernen Decke glauben konnte, darf bezweifelt werden.

Kann meine kleine Tochter nun tatsächlich alles werden und alles erreichen, was sie sich eines Tages in beruflicher Hinsicht wünschen wird? Oder wird es in zehn, 15 Jahren noch genauso schwer und manchmal aussichtslos sein, in Männerdomänen vorzudringen? Wird die Zuschreibung von Ehrgeiz weiterhin Männern als vorteilhaft und Frauen als negativ ausgelegt werden? Fragen, die nach diesem 9. November 2016 noch dringlicher geworden sind. Und die bleiben.

Noch ist der zeitliche Abstand zu gering, um sie adäquat beantworten zu können. Dass Frauen auch in der Politik viel Vertrauen entgegengebracht wird, zeigt der in diesem Zusammenhang immer noch unvermeidliche Blick nach Deutschland: Abiturienten können sich dort nur noch sehr dunkel daran erinnern, dass die Bundesregierung jemals von einem Mann geführt worden war. Durchaus vorstellbar, dass Mädchen im Alter meiner Tochter ihre Mutter fragen, ob denn auch Männer Bundeskanzlerin werden können.

In Österreich wachsen seit der Republiksgründung vor hundert Jahren ausschließlich Mädchen heran, die weder eine Bundespräsidentin noch eine Bundeskanzlerin erlebt haben. Noch nicht einmal eine Kanzlerkandidatin. Von den drei größten Parlamentsparteien wurde erst einmal eine von einer Frau geführt: die FPÖ in den Jahren 2000 bis 2002. ÖVP und SPÖ hatten seit ihrer Gründung ausnahmslos männliche Obmänner oder Vorsitzende. Und von 72 Landeshauptleuten seit 1945 waren erst drei weiblich, aktuell ist es eine einzige.

Kann das Zufall sein? Oder ist Österreich gar nicht bereit für eine Frau an der Spitze? Wer könnte mir das eher beantworten als jene, die es eben bis fast ganz nach oben geschafft haben? An die Spitze von Parteien oder Bundesländern, in Ministerämter, ins Nationalratspräsidium oder in die EU-Kommission. Es sind ganz unterschiedliche Wege, die jene acht ehemaligen Politikerinnen gegangen sind, um die es in diesem Buch geht. Mit unterschiedlichen Zielsetzungen, unterschiedlichen Werten und zu unterschiedlichen Zeiten. Waltraud Klasnic und Heide Schmidt haben die politische Bühne in den 1970er-Jahren als erste betreten, Ulrike Lunacek hat sie im Vorjahr als letzte verlassen. Dass der Preis für ein politisches Amt hoch ist, darin sind sich die acht Frauen – bei allen Unterschieden – weitgehend einig. Auch wenn der Preis, den sie bezahlt haben, differiert.

Ich habe mit ihnen über diesen Preis gesprochen. Ich wollte aber vor allem wissen, wer diese Frauen, die die Zweite Republik an Schlüsselstellen mitgestaltet haben, wirklich sind. Woher sie kommen, wie sie aufgewachsen sind, was sie in ihrem Leben ursprünglich vorhatten. Ich wollte wissen, was sie politisiert hat, und wie sie den Abschied aus politischen Spitzenpositionen erlebt haben. Es sind sehr persönliche Gespräche geworden, und sie stellen die subjektive Sichtweise dieser acht Frauen dar.

Die Frage, ob meine kleine Tochter denn zumindest die theoretische Chance hat, alles werden zu können, beantworten die von mir Befragten übrigens ziemlich einhellig: leicht wird es nicht.

Für meine Mutter Lilo
Und meine Tochter Emma

Gabi Burgstaller

»Ohne dicke Haut hat man es nicht leicht in der Politik«

Wer Niederthalheim im Hausruckviertel auf der Landkarte finden will, ein Dorf mit tausend Einwohnern, muss genau schauen. Noch schwieriger ist Penetzdorf zu finden, eine von 21 Ortschaften, aus denen Niederthalheim besteht. Auf einem der hiesigen Bauernhöfe ist Gabi Burgstaller aufgewachsen. Als eines von sechs Kindern und mit einem Großvater, der Gründungsmitglied des Bauernbundes war. Nichts deutet darauf hin, dass eines dieser Bauernkinder die erste Landeshauptfrau des Nachbarbundeslandes Salzburg werden könnte. Noch dazu als Sozialdemokratin.

Schuld daran ist in gewisser Weise trotzdem der Opa. Er bringt den ersten Fernseher ins Dorf. Die Kinder kommen aus der Nachbarschaft auf Besuch, in Dreierreihen sitzen sie davor und schauen Kasperl. Aber nicht nur das Kinderprogramm ist für sie interessant. Als Gabi Burgstaller sechs Jahre alt ist, hat sie ihr erstes Erlebnis mit der Politik.

»Mein Opa hat mir diese Geschichte oft erzählt: Ich bin vor dem Fernseher gestanden, habe einen sympathischen, für mich damals alten Herrn gesehen und ihm zugehört. Bruno Kreisky war gerade Bundeskanzler geworden. Er sagte in etwa: ›Ich will, dass jedes Kind die gleichen Möglichkeiten hat, je nachdem, welche Talente es hat. Wenn es studieren will, darf es keine Rolle spielen, ob die Eltern Geld haben oder nicht.‹ Ich selbst konnte es kaum erwarten, bis ich alt genug war, um endlich in die Volksschule zu gehen. Ich hatte eine ältere Schwester und habe immer sehnsüchtig darauf gewartet, dass sie von der Schule nach Hause kommt, damit ich mit ihr mitlernen konnte. Ich habe diesen Moment nie vergessen. In mir war von diesem Zeitpunkt, von dieser Fernsehansprache an der Gedanke erwacht: Ich will hinaus in die Welt.«

Von Penetzdorf ist der Weg in die Welt ein weiter.

»In die Volksschule bin ich mit dem Bus gefahren, aber zurück musste ich zu Fuß gehen. Der Bus nach Hause fuhr viel später, war für die Hauptschüler vorgesehen.«

Trotzdem bleibt die Begeisterung für die Schule und für das Lernen ungebrochen.

»In der dritten Klasse war mein Volksschullehrer überzeugt davon, dass ich ins Gymnasium gehen muss. Meine Eltern waren davon nicht so begeistert. Sie haben sich natürlich schon eher vorgestellt, dass ich zu Hause bleiben und irgendwo eine Arbeit in der Umgebung annehmen werde. Hinzu kam, dass Penetzdorf so am Land ist, dass ich jeden Tag wahrscheinlich fünf bis sechs Stunden unterwegs gewesen wäre. Man musste nämlich von der Gemeinde mit dem Bus nach Schwanenstadt fahren, und dann erst wäre man mit dem Zug nach Vöcklabruck oder Wels gekommen. Es war damals nicht üblich, dass die Kinder kreuz und quer durch die Gegend gefahren werden, sondern es hieß einfach: ›Sorry, geht halt nicht.‹«

Es geht aber dann doch. Die Lehrer schlagen Burgstallers Eltern vor, die Tochter ins Internat nach Gmunden zu schicken, wo sie einen Freiplatz bekommt.

»Pro Jahrgang wurden in der BEA (Höhere Bundeserziehungsanstalt, Anm.) damals ein, zwei Kinder ohne Internatskosten aufgenommen. Das hat es für meine Eltern doch etwas leichter gemacht, denn es ist natürlich schon auch ein finanzieller Druck, wenn man sechs Kinder hat. So eine Schülerin, die kostet einfach lange Zeit Geld, auch wenn sie nichts für das Internat zahlen mussten. Wir brauchten auch ein bisschen bessere Kleidung, weil wir zum Beispiel ins Theater gegangen sind. Das ist für Eltern, glaube ich, nicht so einfach, und es ist auch unter den Geschwistern nicht so einfach, aber letztlich haben sie mir alle nichts in den Weg gelegt.«

Das Internat – so weit weg von zu Hause, weg von den Geschwistern, von den Eltern. Wie war das für Sie?

»Ich habe teilweise sehr gelitten. Aber ich hätte es nie zu sagen gewagt, weil gerade dann, wenn man einen anderen Weg geht als den üblichen, ein enormer Druck da ist, diesen Weg aufrecht zu gehen und nicht zu scheitern. Wenn ich zurückblicke, denke ich mir: Dass ich das überhaupt durchgestanden habe, war nicht leicht, gerade im Alter zwischen zehn und 14. Ich habe mir immer gesagt: Ich würde meine Kinder nicht in ein Internat geben mit zehn Jahren.«

Haben Sie damals irgendjemandem gesagt, wie Sie sich fühlen?

»Nein.«

Das heißt, Sie haben das mit sich ausgemacht. Hat Sie das geprägt?

»Ja, ein spontanes Ja. Es gibt schon ein paar Fäden, die sich durch mein Leben ziehen, und einer davon ist: vieles einfach aushalten müssen. Viel Verantwortung zu tragen, zu beweisen, dass ich es schaffe. Weinen ja, aber üblicherweise im Verborgenen. Gefühle zeigen ja, aber nach Möglichkeit auch die Lasten tragen, die einem auf die Schulter gelegt werden.«

Das ist Ihnen also im späteren Leben geblieben: Wenn Sie vor Herausforderungen stehen, machen Sie das mit sich allein aus?

»Ja.«

Sie teilen Probleme nicht?

»Nein.«

Nicht nur die Jahre im Internat prägen Burgstaller, sondern auch ihre bäuerliche Herkunft.

»Einerseits hat sie dazu geführt, dass ich als selbstgewählte Sozialdemokratin auch viel Verständnis für andere Parteien habe. Oder auch für die Nöte mancher ÖVPler, die eine hohe Verantwortung haben für die ländliche Bevölkerung und diese auch wahrnehmen. Andererseits hat mich geprägt, dass wir Kinder zu sechst waren. Da lernt man schon sehr stark das Teilen, das Aufeinander-Schauen. Und das Dritte ist: Wenn man am Land aufwächst, wächst man auch naturnah auf. Mir war bei aller Modernität und Urbanität immer wichtig, in einer intakten Umgebung zu leben, den Gesamtkreislauf der Natur in der Politik nicht auszublenden.«

Ihre Mutter hatte sechs Kinder und hat am Hof gearbeitet. Welches Frauenbild wurde Ihnen da vermittelt?

»Es war stark geprägt vom Wissen, dass Frauen immer hart arbeiten müssen. Das habe ich vor allem bei meiner Mutter gesehen. In ländlichen Regionen schaut bei Bauern ja die Arbeitsteilung häufig so aus, dass der Mann am Traktor sitzt, mit Maschinen hantiert und die Frau körperlich oft härter arbeiten muss. Die Frau ist auch immer für alles zuständig und verantwortlich: für die Kinder, für das Essen, den Haushalt. Und sie arbeitet genauso im Betrieb. Für mich hat es nie diese klassische Aufteilung gegeben wie in städtischen Haushalten: Dass der Mann außer Haus arbeitet und die Frau daheim ist, den Haushalt macht und sich um die Kinder kümmert. Das war bei uns immer eins. Und es gab auch eine gewisse Gleichrangigkeit. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Männer in den ländlichen Regionen so viel höher bewertet werden, weil die Bäuerinnen einfach unglaublich tüchtig sind.«

Haben Sie sich selber einmal so gesehen: Der Mann am Traktor und Sie mit einer Kinderschar auf einem Bauernhof? Oder war Ihnen früh klar, dass Ihr Leben anders verlaufen wird?

»Nein, das habe ich nie so gesehen, obwohl ich mir später schon einmal gedacht habe, dass ich den Hof übernehmen würde, wenn das sonst niemand von uns Geschwistern machen würde. Arbeit, auch schwere körperliche Arbeit, war für mich nie eine große Belastung, im Gegenteil: Ich habe es sogar sehr geschätzt, als Schülerin oder später als Studentin zu Hause mitzuarbeiten. Und ich konnte mir auch vorstellen, einen Bauernhof zu führen. Aber es war nie mein Lebensziel.«

Gabi Burgstaller ist nicht nur die Erste in der Familie, die maturiert, sondern auch die Erste im Ort. Und jetzt, nach der Matura, soll es dann endlich etwas werden, mit dem Ziel, hinaus in die Welt zu ziehen.

»Zunächst einmal wollte ich etwas anderes kennenlernen. Ich konnte nichts mit dem Gedanken anfangen, nach acht Jahren Strebsamkeit in der Schule gleich das Studium zu beginnen, und dann ist das Leben schon vorgezeichnet. Also wollte ich nach der Matura in einen Kibbuz nach Israel. Aber mein Vater hat wegen der schwierigen politischen Lage nicht zugestimmt. Dann hätte ich einen Job in Ägypten haben können. Da hat der Vater auch nicht zugestimmt, weil Sadat in diesem Jahr erschossen wurde. Also habe ich gesagt: Okay, dann bleiben England oder Frankreich. Beide Sprachen konnte ich gut, und ich habe gewusst: dafür werde ich die Zustimmung bekommen. Ich habe also in den Ferien gearbeitet, Geld verdient, und dann habe ich meinen Bausparvertrag aufgelöst, damit ich mir einen Koffer und ein Ticket kaufen konnte. Ich wollte unbedingt einfach einmal weg.«

Es geht also für ein gutes halbes Jahr als Au-pair an die englische Küste nach Swansea, in die zweitgrößte Stadt in Wales.

»Ich war bei einer ganz untypischen Familie: alleinerziehende Mutter, drei Kinder von drei verschiedenen Vätern, unglaubliches Chaos. In der Gegend gab es mehr als 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Da ich ein eher unkomplizierter Mensch bin, habe ich mich mit vielen dieser Jugendlichen gleich angefreundet. Das hat dazu geführt, dass in der Früh schon alle dagestanden sind und gefragt haben: ›Was können wir dir heute helfen?‹ Wir haben dort das Haus umgebaut, haben alles neu tapeziert, Böden gelegt, den Garten angelegt. Sie haben mir geholfen, weil es für sie so eine Anerkennung war, etwas zu schaffen. Ansonsten hatten sie einfach das Gefühl, dass sie kein Mensch braucht. Aber ich habe sie damals gebraucht. Geld konnte ich keines zahlen, also habe ich ihnen was Gutes, Österreichisches gekocht. Diese Erfahrung hat auch an meinen eigenen Plänen einiges verändert. Ich wollte früher immer Philosophie und Germanistik studieren, nicht fürs Lehramt, mein Traum war, dass ich ein Leben lang mit Büchern und wichtigen Fragen beschäftigt bin. In Großbritannien ist der Entschluss gereift: Ich will Juristin werden und die Welt verändern, weil ich einfach gemerkt habe, dass eine Gesellschaft nicht zuschauen kann, wie ein Teil der Gesellschaft keine Bedeutung mehr hat.«

Das heißt: Die Zeit in England hat Sie auch politisiert?

»Ja, absolut. Meine politischen Vorstellungen sind dort sehr konkret geworden, obwohl ich mich schon als Schülerin für Politik interessiert und sehr viel politisiert habe. Aber für den Gedanken ›Ich akzeptiere die Welt nicht so, wie sie ist‹, dafür war eben dieser Aufenthalt in Wales verantwortlich.«

Dann haben Sie Jus studiert. Aber mit welchem Ziel? Weltveränderung ist ja noch kein Beruf.

»Verfassung hat mich immer sehr interessiert. Arbeitsrecht, Mietrecht und andere Fragen, die für die Menschen wichtig sind, natürlich auch, aber Verfassungsrecht vor allem wegen meines Wunsches, dass es in der Gesellschaft mehr Gleichbehandlung oder auch mehr Gleichheit oder mehr Chancengleichheit geben sollte. Das waren dann auch meine Schwerpunkte im Studium. Das Ziel war aber eigentlich nicht, in die Politik zu gehen. Das gebe ich zu. Ich wollte eher als Rechtsanwältin arbeiten, aber für die Leute, die einen wirklich brauchen.«

Dazu kommt es aber nicht. Noch während des Studiums übernimmt Burgstaller eine Stelle als Assistentin am Institut für Verfassungs- und Verwaltungsrecht und für Rechtssoziologie an der Universität Salzburg. Stundenweise arbeitet sie als Wohn- und Mietrechtsberaterin in der Arbeiterkammer, ab 1989 dann fix. Burgstaller ist als Konsumentenschützerin an der Aufdeckung des sogenannten WEB-IMMAG-Skandals beteiligt und vertritt 25.000 geschädigte Anleger. Bald darauf wird klar, dass ihr Engagement als Studentenvertreter die Grundlage für ihre politische Karriere bilden wird.

»1990 habe ich gesagt: ›So, jetzt habe ich alles Mögliche mitgeschrieben, Papiere produziert zu allen möglichen Themen, jetzt möchte ich eigentlich einmal wissen, was damit passiert. Wer entscheidet, was passiert. Und ob das umgesetzt wird. Und dann bin ich der SPÖ beigetreten.‹«

Was haben Ihre Eltern dazu gesagt?

»Die waren am Anfang nicht so erfreut. Aber sie haben ja gewusst, dass ich politisch anders denke. Wir haben ja wirklich gestritten, dass die Türen geflogen sind.«

Bei welchen Themen hatten Sie die größten Differenzen?

»Am unterschiedlichsten waren wir schon in der Frauen- und Familienpolitik. Ich war der Meinung, dass auch Brüder im Haushalt mitarbeiten müssen. Aber ich habe auch die SPÖ immer verteidigt. Auch die Eisenbahner, die für die Bauern immer ein rotes Tuch waren. Ich kann mich an eine Szene erinnern, als die ganze Verwandtschaft bei uns zu Hause war: Die Männer saßen natürlich auf den Bänken, die Frauen auf den Sesseln, weil sie ja ständig in die Küche mussten – und alle haben geschimpft, weil Eisenbahner so früh in Pension gehen können. Und dann habe ich gesagt: ›So, wie alt seid ihr alle? Was? 55? Und seid auch alle in Pension?‹ Das Pensionssystem war sehr oft ein Thema. Weil die Bauernschaft eher der Meinung war, die Arbeitnehmer lassen es sich da gut gehen. Die Bauern sind aber auch alle mit 55 in Pension gegangen und haben halt dann weitergearbeitet. Auch Bildung war immer ein Thema. So quasi: Akademiker sind Nichtsnutze. Das war schon ein Stachel, muss ich sagen, ich habe das nie so gesehen. Ich habe ja immer gearbeitet in den Ferien. Es gab viele Streitpunkte. Einmal sagte meine Mama über mich: ›Sie ist schon tüchtig, aber bei der falschen Partei halt.‹ Darauf antwortete mein Opa: ›Ah geh, bei der ÖVP tät sie heute noch Kaffee kochen.‹ Das war irgendwie wahr. Der Opa hat sich immer, wurde mir erzählt, schon tagelang zuvor gefreut, wenn ich auf Besuch gekommen bin. Weil mit mir hat man diskutieren können, und zwar über alles.«

Haben die Eltern Ihre Lust an der Diskussion auch so geschätzt?

»Die haben das nicht so geschätzt. Nein, ich glaube nicht.«

Diskutieren Sie heute noch gerne in der Familie?

»Ja, natürlich.«

Und Sie sind immer noch unterschiedlicher Meinung?

»Na ja, ich bin natürlich nicht mehr so radikal wie früher. Ich gebe schon zu, dass ich als Schülerin oder Studentin teilweise sehr radikale Ansätze gehabt und sehr revolutionäre Ideen verfolgt habe. Und Eltern werden auch milder mit der Zeit, oder können eine gewisse Anerkennung besser zeigen. Früher hatte ich immer das Gefühl, es wird nicht wirklich anerkannt, was ich tue, bis mir meine Mama einmal erzählt hat, dass einmal im Radio ein Interview mit mir lief, als die Eltern gerade im Stall bei den Kühen waren – ich war damals schon in der Landesregierung –, und sie hat sich umgedreht und gesehen, dass dem Papa die Tränen runterlaufen. Als sie mir das erzählt hat, habe ich erst gewusst: Auch wenn er immer dagegenredet, ist er trotzdem ein bisschen stolz auf mich.«

Also, die Eltern schätzen Ihre Arbeit, aber sie sind nach wie vor keine Sozialdemokraten?

»Nein. Sie waren bekennende Heinz-Fischer-Wähler, das weiß ich. Aber sie sind nicht konvertiert.«

Mit der politischen Karriere geht es schneller voran, als erwartet. Und auch ein wenig anders, als erhofft. In den Monaten vor der Salzburger Landtagswahl 1994 tobt ein Machtkampf in der Partei. Mehrere Abgeordnete und auch die damalige Klubobfrau ziehen sich zurück.

»Als ich gefragt wurde, ob ich kandidieren will, war ich eher entsetzt. In den Landtag zu gehen, das entsprach nicht meinen Vorstellungen, wie man die Welt verändern kann. Aber wie es oft passiert bei Frauen, habe ich dann gesagt: ›Setzt mich halt auf die Liste, aber ich will eigentlich in den Nationalrat.‹ Dann gab es in der Salzburger SPÖ aber wieder einmal eine Spaltung – und zack war ich Landtagsabgeordnete. Ich dachte damals: ›Puh, jetzt kannst du nicht mehr aus.‹ Und dann wollten noch dazu alle, dass ich den Klubvorsitz übernehme, weil meine Vorgängerin zu denjenigen gehörte, die aufgehört haben. Dann habe ich gesagt: ›Ich bin die Jüngste, eine Frau und habe null Erfahrung. Machen wir lieber eine geheime Abstimmung.‹ Die geheime Abstimmung hat dann leider 100 Prozent ergeben. Bei Stimmenthaltung von mir. Dann gab es kein Zurück. Wieder einmal habe ich mir das Verantwortungskapperl aufgesetzt«.

Klubobfrau ohne jede Erfahrung als Abgeordnete: Ist das so schwierig, wie ich es mir vorstelle?

»Jein. Ich hatte zwei Riesenvorteile: Erstens: Ich bin Juristin, das sind Generalisten, das heißt, es gibt kaum ein Thema, wovon man nicht ein bisschen Ahnung hat oder zumindest weiß, wo man nachschauen soll. Und zweitens hatte ich die ›hohe‹ Schule der Arbeiterkammer hinter mir – und das wird auch andere Kammern betreffen: Ich habe einfach gelernt, mich durchzusetzen, zu argumentieren, Interessen zu vertreten und zu verhandeln. Auch wenn das Gegenüber gegenteilige Ansichten hat. Das hilft auch. Und ich muss sagen: Die fünf Jahre als Klubvorsitzende sind wirklich gut gelaufen.«

Normalerweise gibt es bei so hochrangigen Jobs auch immer Männer, die sich anbieten. Gab es die in diesem Fall nicht?

»Damals war so eine Untergangsstimmung, da wollte keiner.«

Also, Sie waren keine Quotenfrau?

»Na ja, ich bin schon sicher unter anderem deshalb gefragt worden, weil für die Liste Frauen gesucht wurden. Ich war damals relativ bekannt durch die WEB-Affäre. Klar, hätte es einen Mann gegeben, der sich als logischer Nachfolger angeboten hätte, wäre es der geworden.«

Sie haben gesagt, Landtag war jetzt nicht so Ihr Traumziel. Haben Sie den Plan, in den Nationalrat zu gehen, dann aufrechterhalten?

»Ich habe 1994 mit der Wahl diese Verantwortung bekommen. Ich bin kein Mensch, der sagt: Interessiert mich nicht, jetzt kandidiere ich für den Nationalrat und bin nach einem Jahr wieder weg. Wir waren damals die zweitstärkste Partei, es gab noch den Proporz, also wechselnde Mehrheiten. Das ist schon auch spannend, da kann man mehr durchsetzen als in einer klassischen Koalition, in der man sich nicht überstimmt.«

Nach mehreren verlustreichen Wahlen hintereinander legt die SPÖ bei der Landtagswahl 1999 mehr als fünf Prozentpunkte zu. Gabi Burgstaller denkt trotzdem ans Aufhören.

»Ich war der Meinung, dass fünf Jahre in der Politik genug sind. Ich habe damals einen ganz tollen Menschen kennengelernt, der als Coach gearbeitet hat. Ich bin einen Tag mit ihm spazieren gegangen und das Ergebnis war: Politik ist nichts für mich. Zuvor hatte ich die Hoffnung, dass man in der Politik vieles schnell verändern kann. Und dann habe ich gemerkt, wie schwierig und wie extrem mühsam das wirklich ist. Es gibt so viel Widerstand, so viel Parteipolitik, und es hat mich eigentlich ein bisschen unglücklich gemacht. Dann wollte ich aufhören und habe das Gerhard Buchleitner, der damals Parteivorsitzender war, auch mitgeteilt. Daraufhin haben viele gesagt, sie treten zurück, wenn ich aufhöre. Und wieder hat die Gabi die Verantwortung übernommen und hat gesagt: Okay, bevor die Partei kaputt ist, mache ich halt weiter. Ich war dann in der Regierung, und das war eigentlich schön, muss ich sagen. Regierungsverantwortung in der zweiten Reihe ist toll.«

Toller als in der ersten Reihe?

»Ja. Man hat nicht so viele Feinde, von denen man im Grunde nicht weiß, warum das Feinde sind. Damals war ich ja noch nicht die rote Gefahr für die anderen Parteien, vor allem für die ÖVP, sondern da haben wir ganz gut kooperiert. Das war ein sehr konstruktives Arbeiten, speziell die ersten zwei Jahre. Erst als ich dann in die erste Reihe vorgerückt bin, mit der Übernahme des Parteivorsitzes, hat es dann ein bisschen anders ausgeschaut.«

Im März 2001 wird Gabi Burgstaller Nachfolgerin von Gerhard Buchleitner als Landesparteivorsitzende der SPÖ. Sie bekommt 98 Prozent Zustimmung, Bundesparteivorsitzender Alfred Gusenbauer nennt sie in seiner Parteitagsrede eine »Herausforderung für Franz Schausberger«, den damals amtierenden Landeshauptmann von der ÖVP. Was damals noch Wunschdenken der Sozialdemokraten ist, wird in den folgenden drei Jahren immer realer. »Gabi« wird zur Marke. Die Landeshauptmannstellvertreterin fährt mit dem Fahrrad durch die Altstadt und vermittelt, jederzeit für alle da und erreichbar zu sein. Je näher der Wahltag rückt, desto mehr schlägt sich das auch in den Umfragen nieder. ÖVP und SPÖ rücken näher zusammen. Neun Monate vor der Wahl erhebt das Institut für Grundlagenforschung erstmals einen leichten Vorsprung für die SPÖ. Nur wenige trauen diesen Daten damals. Die Wähler sind bei Landeswahlen deutlich treuer als bei Bundeswahlen. Erst zwei Mal ist es vor 2004 gelungen, ein Land politisch umzudrehen. 1964 wechselte das Burgenland von schwarz auf rot und 1999 Kärnten von rot auf blau. Je beständiger sich das Kopf-an-Kopf-Rennen in den Umfragen abzeichnet, desto mehr wird Burgstaller auch medial zur Zukunftshoffnung der SPÖ aufgebaut, die zu diesem Zeitpunkt auf Bundesebene seit vier Jahren auf der Oppositionsbank sitzt. Der Kurier schreibt: Burgstaller lehrt die Schwarzen das Fürchten. Das profil kommentiert: Burgstaller wird zum Prüfstein für Schausberger.

Wann haben Sie sich das erste Mal gedacht, dass es sich ausgehen könnte, dass Sie dieses Bundesland umdrehen?

»Nie. Es war nicht so, dass ich mir gedacht habe: So, jetzt drehen wir das Land um. Euphorisch war eher das Team rund um mich. Da gab es schon eine gewisse Gruppendynamik. Ich habe mich nicht hingesetzt und mir gedacht: So, und jetzt werde ich Landeshauptfrau. Sondern ich habe mir gedacht: Wahnsinn, wir haben so viel Zuspruch. Und das trägt einen schon. Dieses Gefühl, wenn man merkt, die Leute finden das richtig, was man tut, es ist viel Sympathie da. Es war einfach so ein schönes Arbeiten, und auf einmal haben wir die Wahl gewonnen.«

Aber muss man rückblickend nicht eingestehen, dass Salzburg nicht wirklich umgedreht wurde? Dass Salzburg nicht rot wurde? Sondern dass da vor allem eine Person gewonnen hat – nämlich Sie – und dass es kein generelles Umdenken in den Grundpositionen der Politik gegeben hat?

»Sicher war es auch die Person. Und da hat mir bestimmt auch meine Herkunft geholfen. Nicht nur dieses Schwarz-Weiß-Denken in der Politik, die Konzentration auf die klassischen Zielgruppen. Das war eigentlich nie mein Thema. Aber es hat auch sehr geholfen, dass die SPÖ so geeint war damals, dass es ein ganz starkes Wir-Gefühl gegeben hat. Wir haben natürlich auch unsere Streitthemen gehabt, aber nach außen hin waren wir stark. Es war einfach insgesamt eine gute Konstellation.«

Der Machtwechsel zeichnet sich früh an diesem 7. März 2004 ab. Die SPÖ legt 13 Prozentpunkte zu und überholt die ÖVP deutlich. Franz Schausberger tritt noch am Wahlabend zurück. Unter Tränen. Ein seltenes Bild bei Politikern. Und Burgstaller ist plötzlich Landeshauptfrau.

»Soweit ich mich erinnern und aus meinen Tagebüchern nachvollziehen kann, hatte ich schon jede Menge Respekt und auch ein bisschen Sorge, ob das zu schaffen ist. Ich kannte ja die Strukturen im Land und habe mich schon gefragt: Was machst du jetzt? Ich musste ja auf einmal eine Regierung bilden. Damit hatten wir keine Erfahrung, wir waren ja noch nie Erster. Und wir hatten auch keine Zuarbeiter, sondern das ganze Land war an den Schnittstellen ÖVP-dominiert. Ich wusste, dass ich wenig Ahnung habe, was da alles auf mich zukommt. Es war eine Riesenfreude, und es war im Land überall eine sehr hohe Erwartungshaltung spürbar. Auch die Erwartung, dass die Stimmung so gut bleibt. Und das funktioniert natürlich nicht, dass das immer so bleibt. Aber ich kann mich erinnern, dass ich mich gefragt habe, ob ich das stemmen kann. Ob die kleine Bauerntochter aus Penetzdorf jetzt das Land regieren kann. Ich hatte schon großen Respekt vor dieser Aufgabe. Und ich wusste natürlich, dass man in der Politik keinen Schnellsiedekurs machen kann. Wer sagt dir, wie Landeshauptfrau geht?«

Und wer hat es Ihnen gesagt?

»Es war fürchterlich. Ich bin von einem Fettnäpfchen ins andere getreten. An einem der ersten Tage bin ich zu einer Besprechung zum Bundesheer gefahren. Man ist ja auf einmal für alles zuständig. Ich kann mich noch genau erinnern, ich habe gerade telefoniert, weil es war ja damals rund um die Uhr viel zu tun, und als wir um die Ecke gebogen sind, hat mich fast der Schlag getroffen, weil das gesamte Bundesheer angetreten war. Ich hatte erwartet, dass wir einfach eine Besprechung abhalten, und auf einmal musste ich die Front abschreiten. Das sind auch Themen, die für Frauen nicht so alltäglich sind. Erst einige Jahre später hat mir jemand gesagt, dass man bei solch offiziellen Anlässen die Schrittfolge mit dem linken Fuß beginnt. Wir sind dann also die Front abgeschritten, und ich habe den Leuten die Hand geschüttelt, also nicht den Soldaten mit Waffe, aber den anderen offiziellen Vertretern des Bundesheeres. Der ORF war dabei, und am Abend war dann in den Nachrichten zu sehen, wie ich dort dem ganzen Personal die Hände schüttle. Gleich in der Früh hat jemand im Büro angerufen und gesagt: ›Sagen Sie der Landeshauptfrau, beim Bundesheer schüttelt man keine Hände.‹«

Wie sammelt man sich dann ein Team? Und wie viele Leute in dem Team darf man sich selbst aussuchen?

»Man kann sich die Mitarbeiter zwar aussuchen, aber das ist auch nicht so einfach. Man braucht auf einmal mehr Mitarbeiter, mehr Regierungsmitglieder. Wir waren nicht wirklich vorbereitet. Und was die Frage der Regierungsbildung betrifft, war für mich immer klar, dass ich in einem Bundesland wie Salzburg, das so ÖVP-lastig ist, die ÖVP nicht in die Opposition schicken kann.«

Hätten Sie das denn gerne gemacht?

»Nein, ich hätte es nicht gerne gemacht, obwohl es der ÖVP vielleicht einmal ganz gutgetan hätte. Sie können auf Machtstrukturen zurückgreifen. Das habe ich unterschätzt. Ich habe mir damals gedacht: Okay, jetzt komme ich, ich habe einen etwas anderen Zugang zur Politik, bin der Meinung, die gute Idee zählt und nicht die Partei. Mir ist auch egal, ob jemand ein Roter, Schwarzer, Grüner oder Blauer ist. Ich bin allen gleich offen gegenüber, wenn sie loyal arbeiten. Und dann wird das genauso zurückkommen. Das war mein großer Irrtum. Man hat ja keine zweite Chance, und ich möchte auch keine mehr. Aber wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, wüsste ich schon, was ich jetzt anders machen würde.«

Was zum Beispiel?

»Ich würde die Spitzenpositionen austauschen. Die Landesamtsdirektion, die Personalabteilung, die Finanzabteilung. Alle Schlüsselstellen. Nicht, damit da ein Roter sitzt, sondern weil man jemanden braucht, der absolut loyal ist und einem zuarbeitet. Bei dem ich das Gefühl habe, ich kann mich auf ihn verlassen, ich muss mir nicht selbst alles fünfmal anschauen und durchdenken, um ja keinen Fehler zu machen, und vieles andere.«

Das heißt: Sie konnten sich nicht verlassen auf die Leute im Amt?

»Ich habe einfach akzeptiert, dass sie in ihren Spitzenpositionen sind. Ich habe nicht einmal versucht, etwas daran zu verändern. Ich habe dann zwar die Idee geboren, dass alle Spitzenpositionen befristet gehören. Die Leute verlieren nicht ihre Arbeit, sondern treten dann eben in die zweite Reihe zurück, und der oder die Neue sucht sich seine oder ihre Vertrauten aus. Das hat keine Mehrheit gefunden in der ÖVP. Blöd wären sie gewesen. Die haben teilweise wirklich gegen mich gearbeitet. Unglaublich mühsam. Das hat mich ein Drittel meiner Arbeitszeit gekostet, dort ständig was zu erfragen, keine Unterlagen zu bekommen, wieder ein Gutachten machen zu müssen, ob ich da jetzt in den Akt einsehen darf oder nicht. Wirklich sehr mühsam.«

Lange und laut wurde ja auch die Frage diskutiert, wie Sie angeredet werden wollen. Sie waren ja nicht nur die erste weibliche Sozialdemokratin, sondern Sie waren überhaupt die erste Frau an der Spitze des Landes. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum das so außergewöhnlich ist, dass man sich Landeshauptfrau nennt, wenn man Landeshauptfrau ist?

»Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen. Aber ich habe erlebt, dass das für viele fast einer Entmannung gleichkommt. Ich habe ja schon im Jahr 1994 die Diskussion geführt, weil ich im Salzburger Landtag einen Geschäftsordnungsantrag eingebracht habe, dass ich nicht Klubobmann heißen möchte. Ich habe mir gedacht, das ist in zwei Minuten erledigt, da werden alle aufzeigen. Ich habe nicht mal Klubobfrau vorgeschlagen, sondern Klubvorsitzender oder Klubvorsitzende. Dann haben wir drei Stunden darüber diskutiert. Der damalige Klubobmann der ÖVP, Franz Schausberger, hat sogar gesagt: Das gehe nicht, weil auf seinem Briefpapier Klubobmann steht. Da habe ich gesagt: Das ist völlig egal, das darf auch weiter oben stehen. Ich habe die Diskussion auch von Waltraud Klasnic gekannt. Auch wenn in der Verfassung die männliche Form steht, es steht fast überall die männliche Form. Ich bin auch gelegentlich, wenn der Landeshauptmann nicht da war und ich als Stellvertreterin dort war, als Frau Landeshauptmann begrüßt worden. Da habe ich dann immer frech gesagt: Ich bin nicht die Frau vom Landeshauptmann.«

Das haben aber nicht alle lustig gefunden?

»Nein. Alle Männer, die meine Stellvertreter waren, haben sich irrsinnig aufgeregt, dass sie jetzt Herr Landeshauptfrau-Stellvertreter heißen. Und haben wirklich gekämpft, dass ich sie weiterhin Landeshauptmann-Stellvertreter nennen muss. Was nicht korrekt war und auch von den Legisten immer korrigiert wurde.«

Wie erklären Sie sich das?

»Es ist absurd. Ich habe mir nie gedacht, dass so etwas ein Thema ist.«

Aber mittlerweile hat es sich schon geändert. Johanna Mikl-Leitner darf sich offenbar ohne Diskussion Landeshauptfrau nennen.

»Ja, Gott sei Dank. Es hat sich wirklich etwas verändert.«

Als Landeshauptfrau wird Gabi Burgstaller Teil eines Gremiums, das in der österreichischen Bundesverfassung zwar nicht formal verankert ist, aber informell ein riesiges Machtzentrum darstellt: die Landeshauptleutekonferenz. Sie tagt zwei Mal im Jahr und muss ihre Beschlüsse einstimmig fällen, was häufig darauf hinausläuft, dass sich neun Länder gegen Entscheidungen des Bundes stellen. Diese Beschlüsse sind zwar nicht bindend, haben realpolitisch aber großes Gewicht.

»Ich halte das für eine Ausrede. Es geht nichts ohne manche Länder in manchen Parteien. Mir ist schon klar: Wenn du ÖVP-Chef werden willst, und du hast die zwei, drei größten Bundesländer gegen dich, wirst du es nicht werden. In der SPÖ ist es auch ein bisschen so, vielleicht nicht so arg wie in der ÖVP. Juristisch habe ich das aber immer für eine Ausrede gehalten. Der Nationalrat kann jederzeit hergehen und Gesetze beschließen mit einfacher Mehrheit oder mit Verfassungsmehrheit. Er kann sogar die Verfassung ändern, und wenn es kein tiefer Eingriff in die Verfassung ist, braucht man nicht einmal eine Volksabstimmung dazu. Also da zu sagen, wir können Kompetenzen nicht verändern, stimmt einfach nicht.«

Aber sie werden nicht verändert. Warum nicht?

»Manchmal weil die Parteimeinung auf Landesebene und Bundesebene ident sind. Zum Beispiel beim Jugendschutz. Da war die ÖVP auch auf Bundesebene immer eher der Meinung, dass das bei den Ländern bleiben soll. Oder beim Tierschutz – kleines Thema, aber sehr symbolisch: Da war es der Druck der Medien und auch der jungen Menschen, der dazu führte, dass ein Bundestierschutzgesetz gelungen ist. Für die ÖVP war das immer ein No-Go, und es hat auch lange gedauert, bis man die Materie »verbundlicht« hat, wobei das auch nicht immer eine Garantie ist, dass das besser wird. Aber zumindest kann man darüber nachdenken, ob ein Land mit 8,8 Millionen Einwohnern so viele Landesgesetze braucht. Und ob es auch inhaltlich einen Sinn macht. Raumordnung, alles, was so planerisch ist, kann man durchaus bei den Ländern haben, das hat einen Sinn. Aber Menschen unterschiedlich zu behandeln oder unterschiedliche Bauvorschriften zu haben, das ist schon ein bisschen eigenartig. Ich würde sagen: Es ist eine Ausrede. Der Bund kann fast alles ohne die Länder tun. Aber die Ausrede hat einen realpolitischen Hintergrund, nämlich dass die Parteien unterschiedliche Positionierungen haben und die Parteivorsitzenden, aber auch die Nationalratsabgeordneten oft abhängig sind von den Ländern. Sie werden halt nicht mehr aufgestellt, wenn sie nicht spuren. Das ist sozusagen die normative Kraft des Faktischen.«

Aber wie viele Interessen decken sich wirklich in diesem Gremium? Geht es da nicht auch stark darum, dass jeder und jede sein eigenes kleines Reich verteidigt?

»Zum einen gibt es natürlich ein Machtgefälle. Das war immer spürbar, die Achse Wien–Niederösterreich war extrem stark. Die beiden waren auch eher der Meinung, der Rest wird schon spuren. Und zum anderen gibt es die Einzelinteressen. Es gibt die parteipolitischen Interessen, je nachdem, wie die Bundesregierung gerade zusammengesetzt war. Wenn Rot-Schwarz an der Regierung ist und die Landeshauptleute auch alle RotSchwarz sind, dann gibt es da nicht so viele Machtspiele. In der Zeit von Schwarz-Blau war das für uns in der SPÖ – wir waren damals relativ stark (Burgstaller, Häupl, Voves, Niessl, Anm.) – natürlich schon eine andere Bühne. Die Parteipolitik spielt schon eine Rolle. Genauso im Bundesrat. Es gibt kaum Gremien, in denen ein übergeordnetes Interesse herrscht.«

Sie waren zunächst mit Waltraud Klasnic zwei Frauen neben sieben Männern, bald danach dann die einzige Frau unter den Landeshauptleuten. Hat man Sie das spüren lassen?

»Ich sage intern schon meistens, was ich mir denke oder was ich für richtig halte. Das war für manche nicht so einfach. Der Vertreter von Niederösterreich hatte ein Problem damit, dass da eine Frau, die Sozialdemokratin ist und noch dazu jünger als er, ihre Meinung sagt.«

Wie haben Sie das gemerkt?

»Er hat einmal gesagt, Zitat: ›Ich werde dafür sorgen, dass du das Gesicht verlierst.‹ Das war hart.

Worum ist es da gegangen?

»Da ging’s um die Bildungspolitik. Er war der Meinung, dass mit der SPÖ in dieser Frage eh alles ausgemacht war. War es aber nicht. Ich habe da die Position der Bildungsministerin vertreten: Keine Verländerung der Bildungspolitik. Und da habe ich gesagt: ›Was soll das? Selbst wenn wir das wollten, wird’s das nicht geben. Dazu braucht es eine Verfassungsmehrheit im Nationalrat.‹ Diese inhaltlich rituellen Debatten haben mich immer sehr genervt. Ich habe damals gesagt: Nein, ich mache da nicht mit bei dem Beschluss, und dann ist diese Aussage gefallen.«

Haben Sie bei anderen auch das Gefühl gehabt, dass Sie nicht in gleicher Weise akzeptiert sind wie die männlichen Kollegen?

»Das war schon stark er. Es hat auch immer wieder andere Diskussionen gegeben, wo ich ein bisschen belehrt worden bin. Sie haben schon öfter so ein bisschen väterlich zu mir gesagt: ›Du wirst sehen, wenn du dem Bund irgendwas zugestehst, dann will er noch mehr.‹ Ich war zum Beispiel für einen einheitlichen Jugendschutz in Österreich. Was ist der Unterschied zwischen einem Jugendlichen in der Steiermark, einem in Oberösterreich und einem in Salzburg? Die drei Jugendlichen gehen am Wochenende am Abend miteinander aus. Mir sind diese Dinge immer unlogisch vorgekommen. Da kam oft die Warnung: Ja nichts dem Bund geben! Das habe ich nicht verstanden. Und der niederösterreichische Landeshauptmann war es halt nicht gewohnt, dass man ihm widersprach. Und dann gab’s die anderen, die anfangs ein bisschen die Vaterrolle übernommen haben, durchaus nicht böse gemeint. Leute wie Landeshauptmann Sausgruber, den ich bis heute sehr schätze. Der hat auch zugehört. Aber ja, ich wurde in diese Runde aufgenommen im Sinne von ›Wir sagen dir, wie es geht.‹ Aber das muss man ja nicht unbedingt annehmen.«

Und Jörg Haider?

»Der hat immer schon vorher seine Pressekonferenzen gegeben. Das war ziemlich nervig. Er war nie ungut, aber er war schon einer, der sich seine eigene Politik gemacht hat. Dem war ziemlich egal, was in der Landeshauptleutekonferenz läuft.«

Im Landtagswahlkampf 2009 setzt die SPÖ auf das Rezept, das vor fünf Jahren zur Wende geführt hat. »Meine, deine, unsere Landeshauptfrau« wird plakatiert. Und: »Ihre Art macht den Unterschied.« Die SPÖ hält am 1. März dann zwar Platz eins, büßt aber sechs Prozentpunkte ein. Der Abstand zur ÖVP ist auf drei Prozent zusammengeschmolzen. »Ich habe mir mehr erwartet«, sagt Burgstaller am Wahlabend. Die Salzburger Nachrichten werfen ihr vor, statt auf politische Inhalte auf politische Wellness gesetzt zu haben. »Lächeln reicht nicht.«

Die Zusammenarbeit zwischen SPÖ und ÖVP wird fortgesetzt. Mit Gabi Burgstaller als Landeshauptfrau und Wilfried Haslauer als ihrem Stellvertreter. Auch die zweite Periode verläuft relativ geschmeidig und ohne große öffentliche Zerwürfnisse und Aufregungen. Noch Anfang 2012 decken sich die Umfragedaten für die beiden Regierungsparteien mit dem Wahlergebnis von vor drei Jahren. Im Spätherbst wird alles anders.

Am 6. Dezember wird die Öffentlichkeit von der Nachricht überrascht, dass die Leiterin der Finanzabteilung des Landes 340 Millionen Euro Steuergeld verspekuliert haben soll. Der damalige Finanzlandesrat David Brenner gibt dies in einer Pressekonferenz bekannt. Ausgerechnet übrigens an jenem Tag, an dem der Bundesrechnungshof das Finanz-Landesmanagement ausdrücklich lobt und die Prüfer in ihrem Bericht festhalten: »Das Land Salzburg setzte fast alle Empfehlungen des Rechnungshofes um. Es schloss weiterhin komplexe, mit Risiko behaftete Derivatgeschäfte ab. Durch den Abschluss zusätzlicher Sicherungsgeschäfte wurden die Risikopositionen stark reduziert.«

Anfangs ist die Faktenlage sehr unübersichtlich, was die allgemeine Verwirrung erhöht. Im Land, im Bund, bei Politikern und bei Journalisten. Es bleibt nicht viel Zeit, die Lage sachlich zu beurteilen und zu ordnen. Die Stimmung ist aufgeheizt. Als logische Folge überschlagen sich Ereignisse und Handlungen. Die ÖVP bringt einen Neuwahlantrag ein, nach einigen Tagen des Zögerns tritt David Brenner, der bis dahin als große Zukunftshoffnung der Salzburger SPÖ galt, zurück, und Gabi Burgstaller zeigt Emotionen. Als sie im Landtag erstmals öffentlich zu den Ereignissen Stellung bezieht, kämpft sie mit den Tränen: »Lassen Sie mich damit beginnen, dass ich zuallererst mein ehrliches und tiefes Bedauern ausdrücken möchte und mich bei der Salzburger Bevölkerung entschuldigen möchte. Dafür, dass der Eindruck entstanden ist, dass wir, die Regierung, dieses Land in die größten Turbulenzen gebracht hätten.« Dann fasst sie sich und verspricht Aufklärung. Dieser Auftritt lenkt zumindest für einen Tag von der eigentlichen Debatte ab. War das stark oder schwach? Darf man in solch einer Situation Emotionen zeigen? Die Kommentatoren sind gespalten. Eine Tageszeitung befragt ihre Leser, ob »die Tränen der Landeshauptfrau echt gewesen« seien.

»Es hat mich damals wirklich aus heiterem Himmel getroffen. Und ich glaube, das hat man auch gemerkt. Es kränkt mich heute noch, wenn mir irgendwer vorwirft, dass ich damals fast zum Heulen angefangen habe. Ich war einfach fertig. Ich war so was von enttäuscht im schlechtesten Sinne. Wir haben ein paar Tage vorher Budgetberatungen gehabt, und da ist genau das Gegenteil behauptet worden. Alles bestens, wir spekulieren nicht usw. Über die Jahre hat es immer nur geheißen, Salzburg ist ein Vorbild. Vom Finanzministerium abwärts haben das alle gesagt. Die eigenen Leute, die anderen Leute. Es war mir damals unerklärlich, wie so etwas passieren konnte. Heute, mit einem gewissen Abstand, denke ich mir: Wie hat erstens das Land Salzburg mit Steuergeld so etwas zulassen können? Wobei ich natürlich weiß, dass die ÖVP mit dem angefangen hat, und das ist auch mittlerweile alles erwiesen, aber das war halt in guten Zeiten, wo wahrscheinlich keiner ein Problem damit gehabt hat. Und wieso haben wir das fortgesetzt? Natürlich habe ich mir oft gedacht: Wenn ich 2004 einen Kassasturz hätte machen lassen, mir alles auf den Tisch hätte legen lassen und mir 14 Tage Zeit genommen hätte, mir das alles mit erfahrenen Budgetexperten anzuschauen, wäre es wahrscheinlich nicht so weit gekommen. Weil eines weiß ich sicher: Ich hätte solche Geschäfte nie zugelassen.«

Sie werfen sich also heute vor, dass Sie nicht genauer hingeschaut haben?

»Ja, aber ich werfe das nicht nur mir vor. Ich habe schon sehr mit mir gehadert, und ich war eine Zeit lang in einem ziemlich tiefen Loch. Nach der Anstrengung des Wahlkampfes. Im Wahlkampf muss man einfach funktionieren, da hat man gar keine Zeit zum Grübeln. Aber nachher habe ich mir oft die Frage gestellt: Warum ist mir das passiert? Warum habe ich das nicht durchschaut? Warum ist der Sozialdemokratie das passiert? Dass unter unserer Verantwortung solche Geschäfte gemacht werden. Wie können wir, die wir doch normalerweise diesen Casinokapitalismus verteufeln, bei so etwas irgendwie mittun?«

Und was ist Ihre Antwort darauf?

»Die einfachste Antwort darauf ist: Mit Steuergeld spekuliert man nicht. Ich persönlich mache das nicht einmal mit meinem eigenen Geld. Und meine größere Antwort lautet: Die Sozialdemokratie muss aufpassen, dass sie bei den negativen Seiten des Marktes nicht dabei ist. Das betrifft nicht nur Österreich. Aber in diesem Fall hat es Salzburg betroffen. Und natürlich betrifft es auch andere sozialdemokratische Parteien in anderen Ländern, Bundesländern, Städten, Nationen. Wir haben bei diesen Spekulationsgeschäften nichts zu suchen. Unsere Aufgabe muss sein, dass wir die Realwirtschaft unterstützen.«

Hat Sie diese Situation damals wirklich so überrollt, dass Sie Ihre Emotionen nicht zurückhalten konnten?