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Andrea Heigl

Mit einem Koffer
voll Hoffnung

Österreich als neues Zuhause –
15 Lebensgeschichten

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2013 Residenz Verlag
im Niederösterreichischen Pressehaus
Druck- und Verlagsgesellschaft mbH
St. Pölten – Salzburg – Wien

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.
Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:
978-3-7017-4421-3

ISBN mobi:
978-3-7017-4422-0

ISBN Printausgabe:
978-3-7017-3319-4

Inhalt

Vorwort

Martin Blum
Drei Pfeiler für ein gelungenes Leben

Michèle Cooke
»Sagen Sie es mir: Woher bin ich?«

Familie Dondop
»Unser Jesus ist siebzig Jahre alt«

Ruth Fröhlinger
»Damals hat alles mein Herz entschieden«

Taraneh Hosseinian
Helferin in vielen Sprachen

Familie Liebig
Wie fünf Piefkes zu Ösi-Fans wurden

Carlos Navarro Leiva
Ein Netz über den Atlantik

Henry Ntiamoah
Gott, die Welt – und die große Liebe

Ismet özdek
Ein Meister auf dem glatten österreichischen Parkett

Milica Petrovic
Mit einem Koffer voll Hoffnung

Marja Pocrnja
Zwei Identitäten, ganz selbstverständlich vereint

Malou Reininger-Soto
Wie man in Wien zur »Gnädigen Frau« wird

Emily Walton
Die Mutter, der Mutter, der Mutter, die Mutter

Daniel Weissmann
Zu Hause auf dem »Science Planet«

Kezban Yildiz
Die Wälder-Türkin

Integration & Migration in Österreich

Literaturverzeichnis

Vorwort

Als ich ein Kind war, gab es diese Tee-Werbung. Da sang jemand so ein rührseliges Lied, einen dieser Sorte Werbe-Songs, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt, obwohl (oder gerade weil) sie einem auf die Nerven gehen. Besonders die letzte Zeile des Liedes blieb in meinem Kopf hängen: »... und das schöne Gefühl, zu Hause zu sein.«

Als Kind war mir das mehr als rätselhaft. Zu Hause, habe ich mir gedacht, wie kann das ein Gefühl sein? Das ist doch ein ganz klar definierter Raum, der irgendwie immer schon da war. Ein Ort, an dem meine Familie ist, an dem mir jeder Winkel, jedes Geräusch und jeder Geruch vertraut ist, zu dem ich ganz selbstverständlich immer wieder heimkehren kann.

Jahre später sah ich die Tee-Werbung wieder im Fernsehen, und plötzlich wusste ich, was mit diesem Lied gemeint war. Wenn man erwachsen wird oder ist, dann ist »Zuhause« plötzlich nicht mehr so eindeutig definiert. So manche Wurzeln müssen ausgerissen werden, damit man andernorts wachsen kann. Dieser Prozess ist schwierig genug, wenn man sich in seinem Heimatland befindet, mit vertrauten Milchpackerin im Supermarkt, alten Bekannten aus dem Fernsehen sowie Familie und Freunden, die höchstens ein paar Autostunden entfernt sind.

Was das alles mit einem Buch über Migranten zu tun hat? Als ich die Menschen traf, die auf den folgenden Seiten porträtiert werden, gewann ich rasch eine so simple wie verblüffende Erkenntnis: Ob sie nun reich oder arm sind, mehr oder weniger gebildet, ob sie die große Liebe oder ein verlockendes Jobangebot oder einfach die Sehnsucht nach einem besseren Leben nach Österreich verschlagen hat, egal wie lange sie schon hier leben und aus welchem kulturellen Kontext sie kommen, ob sie eher auf der Durchreise sind oder für immer in Österreich bleiben wollen – sie alle suchen im Grunde dasselbe: ein Zuhause. Und dafür brauchen sie alle im Großen und Ganzen dasselbe: Sicherheit, geliebte Menschen, eine Umgebung, die ihnen wohlwollend gesinnt ist.

Das ist umso verblüffender, wenn man sich vor Augen führt, wie aufgeregt das Thema Migration hierzulande diskutiert wird – als hätte es die Menschen, um die es geht, auf den unantastbaren Planeten Österreich verschlagen, einzig und allein, um hier alles durcheinanderzubringen. Als seien ihre Wünsche und Sorgen so grundlegend anders als jene von uns »echten« Österreichern, was auch immer das mitten in Europa bedeutet. Tatsächlich sind auch Migranten vor allem eines: Väter, Mütter, Geschwister, Nachbarn, Arbeitskollegen, Partner, Freunde, kurz: Menschen, die auf die eine oder andere Art und Weise unseren Alltag prägen.

Für dieses Buch habe ich fünfzehn Menschen (und zum Teil auch ihre Familien) getroffen, deren Zuhause ursprünglich nicht Österreich war. Ein genauer Blick auf ihre Geschichten ist mehr als lohnend. Wer hätte schon gedacht, dass ein türkischer Gastarbeitersohn Tanzlehrer werden würde und den Opernball choreografiert? Wer rechnet damit, dass eine Uni-Professorin aus Sri Lanka, die seit mehr als dreißig Jahren in Wien lebt, wegen ihrer Hautfarbe keinen Tisch in einem Lokal bekommt? Wer würde vermuten, dass sich eine tibetische Familie ausgerechnet in einem Tiroler Bergdorf wohlfühlt, weil sie die Umgebung dort an die tausende Kilometer entfernte Heimat erinnert? Und das ist nur ein kleiner Teil der vielfältigen Lebensgeschichten, auf die ich gestoßen bin.

Die Auswahl dieser Menschen erfolgte zufällig und ist nicht hundertprozentig repräsentativ für die Gesamtheit der Migranten in Österreich. Dennoch ist die Summe ihrer Geschichten alles andere als beliebig. Es sind Geschichten über die großen und kleinen Sorgen sowie die großen und kleinen Freuden des Lebens, die ein durch und durch menschliches Gesamtbild ergeben, jenseits von Plattitüden und Parolen.

Ich möchte den Menschen, die ich porträtiert habe, von ganzem Herzen dafür danken, dass sie mir erlaubt haben, einen Blick in ihr Leben zu werfen. Zu Hause, das ist schließlich der intimste Ort der Welt – und auch wenn ich der lästigen Tee-Werbung ungern recht gebe: Es ist ein schönes Gefühl, ein Gefühl, nach dem wir uns alle sehnen. Ganz egal, auf welchem Flecken der Erde wir unsere ersten Wurzeln geschlagen haben.

Andrea Heigl

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Drei Pfeiler für ein gelungenes Leben

MARTIN BLUM
Von Prag nach Salzburg und Wien

Martin dachte, sie würden auf Urlaub fahren. Weg aus Prag mit seiner schlechten Luft, die dem sechsjährigen, asthmakranken Buben andauernd zu schaffen machte, für ein paar Tage oder Wochen nach Jugoslawien. Doch er und seine Mutter waren nicht auf Urlaub, sie waren auf der Flucht. 1987 war das, nur zwei Jahre, bevor Schluss war mit dem Kommunismus in der damaligen Tschechoslowakei; Schluss mit den Repressionen, die die Familie aus ihrer Heimat wegtrieben.

Martins Eltern hatten den »Urlaub« bis ins letzte Detail geplant: Mutter und Sohn beantragten von Jugoslawien aus eine Durchreisegenehmigung durch Italien, angeblich, um schneller in die Tschechoslowakei zurückzukommen. Doch genau das hatten sie nie vor, ihr eigentliches Ziel war Österreich. Der Vater war gleichzeitig zum »Urlaub« seiner Frau beruflich in Paris, er tauchte einfach nicht mehr auf, als der Bus mit den Arbeitskollegen wieder zurück in die Tschechoslowakei fahren sollte, und schlug sich über die Schweiz nach Österreich durch.

Im Flüchtlingslager im niederösterreichischen Traiskirchen haben sich die drei schließlich wieder gesehen. »Das klingt so dramatisch«, sagt Martin gut 25 Jahre später, als er die Geschichte seiner Flucht erzählt, und es klingt fast, als würde er sich selbst ein bisschen darüber wundern, wie sich das alles in seinen eigenen Ohren anhört. Mitbekommen hat er von diesen dramatischen Stunden als Kind natürlich nichts, er wähnte sich stets in Sicherheit – »das ist ein großes Verdienst meiner Eltern«.

Auch seine Erinnerungen an Traiskirchen, an jenes Quartier, das heute fast schon symbolhaft für den österreichischen Umgang mit Flüchtlingen steht, sind spärlich. »Ich weiß nur noch, dass wir mit 20, 30 Leuten in einem Zimmer geschlafen haben.« Doch das Ziel seiner Eltern waren ohnehin die Berge. Sie haben sich beim Skifahren kennen- und lieben gelernt, und die Liebe zur Natur, der Drang nach Freiheit haben sie dazu gebracht, die Tschechoslowakei auf diesem abenteuerlichen Weg zu verlassen. Martins Mutter war als Diplomatentochter in aller Welt aufgewachsen, Berlin, Rom, Paris, Teheran. 1968 wurde der Großvater aus der Regierung hinausbefördert. Weil er aktiv am Prager Frühling beteiligt war, galt er als Feind des Kommunismus; seiner Tochter wurde sogar verboten, in der Tschechoslowakei zu studieren – erst viele Jahre später holte sie das in Österreich nach.

Martin erinnert sich noch genau an die einzigen drei deutschen Worte, die er beherrschte, als er begann, in St. Georgen am Attersee zur Volksschule zu gehen: Hund, Katze, Maus. Gelernt hat er sie von der Mutter, die als Kind vier Jahre lang in Ostberlin gelebt und in der Tschechoslowakei Deutsch unterrichtet hatte. Martin war das einzige »Ausländerkind« und fühlte sich zunächst ausgeschlossen – mit den Sprachkenntnissen änderte sich das aber rasch. Die Familie zog weiter nach Salzburg, und als Martin dort in die 3. Klasse Volksschule kam, »habe ich schon so gut Deutsch gesprochen, dass die Kinder gar nicht gemerkt haben, dass ich aus der Tschechoslowakei komme«.

Schon 1991 erhielt die Familie die österreichische Staatsbürgerschaft, nicht zuletzt wegen der guten diplomatischen Kontakte des Großvaters, die sich trotz seines Quasi-Berufsverbots über die Jahre erhalten hatten. Von den Salzburger Kindern unterschied Martin vor allem der finanzielle Status der Familie. »Bei uns gab es keine Geschenke, keine Geburtstage bei McDonald’s. Das hat mich schon geprägt, ich denke, ich habe einen gesünderen Zugang zu Wertsachen. Eine gewisse Wurschtigkeit.« Besitz anzuhäufen, wie es so viele in seinem Alter anstreben, das sei ihm nach wie vor überhaupt kein Anliegen, sagt Martin.

Gut zwei Jahre nach der Flucht der Familie zerfiel der Kommunismus in der Tschechoslowakei. »Wir hatten damals keinen Fernseher, wir waren ja noch in der Flüchtlingsunterkunft in St. Georgen. Aber ich kann mich erinnern, dass meine Eltern irgendwann gesagt haben: Jetzt ist es aus.« Aber zurück in die alte Heimat wollten sie nicht mehr, sie hatten schließlich hier einen Job, eine Wohnung, ein neues Leben. Die Familie begann, jedes Wochenende die Großeltern in Budweis zu besuchen. Die Grenze, die früher so unüberwindbar war, konnte man plötzlich ganz einfach überqueren. Nur wenige Stunden trennten die Städte, die früher fern wie zwei unterschiedliche Planeten schienen.

Gleichzeitig sorgten die Eltern dafür, dass Martin das Tschechische nicht fremd wurde – nicht die Sprache, die in der Familie immer gesprochen wurde und wird, aber auch nicht die Kultur. Immer und immer wieder liefen zu Hause Videos von Miloš Forman, dem tschechisch-stämmigen, Oscar-gekrönten Regisseur. »Der Feuerwehrball« blieb Martin besonders in Erinnerung, ein Film, der in der Tschechoslowakei verboten wurde.

Er handelt von einem Feuerwehrball, bei dem eine Schönheitskönigin gekürt wird. Das Fest gerät außer Kontrolle, als sich die Parteifunktionäre einmischen. Ein Schelm, wer eine Parallele zum Kommunismus erkennt. »Dieser Witz, diese subversiven Elemente, ich denke, die sollten das Leben in der Tschechoslowakei ein bisschen lustiger machen, oder zumindest erträglich. Forman fängt die tschechische Seele so gut ein, das ist unnachahmlich«, sagt Martin. Was den Österreichern Qualtingers Herr Karl sei, sei den Tschechen das Werk von Miloš Forman. »Seine Filme sind von so einer Situationskomik geprägt – die gibt es in österreichischen Filmen gar nicht.«

Die Sehnsucht nach der alten Heimat hat seine Eltern nie verlassen. Als die Ehe zerbrach, ging der Vater zurück nach Prag – und Martin bekam einen neuen Nachnamen: Er und seine Mutter hießen von da an Blum, der alte jüdische Name seiner Familie, den sein Großvater nach dem Zweiten Weltkrieg abgelegt und gegen den slawischen Namen Borski eingetauscht hatte. Martin sagt, mit dreizehn Jahren fand er die Namensänderung »aufregend« – er hatte das Gefühl, ein Stück Familiengeschichte weiterzutragen, der jüdische Name war plötzlich kein Stigma mehr. Alles andere als eine Selbstverständlichkeit und viel mehr als nur eine Randnotiz in seiner Biografie.

Martins Urgroßeltern waren in Auschwitz ums Leben gekommen, der damals 17-jährige Großvater hatte sich nach einer abenteuerlichen Flucht durch die Wälder einer Partisanengruppe angeschlossen und so den Krieg überlebt. Martin sagt, die Familiengeschichte habe ihn politisiert. »In meiner Jugend habe ich erlebt, dass sich die Burschen in Salzburg mit >Sieg Heil< begrüßt haben, nicht weil sie Nazis waren, sondern weil sie das für lustig hielten. Manchmal bin ich auch mit Leuten ins Gespräch gekommen, habe ihnen erzählt, dass ich jüdische Wurzeln habe, und die haben dann von irgendwelchen angeblichen schlechten Erfahrungen mit Juden erzählt. Ich bin nie direkt angefeindet worden, aber man spürt den Antisemitismus schon in solchen Kleinigkeiten.« Damals, mit fünfzehn, hat sich Martin nicht getraut, gegen solche Bemerkungen lautstark aufzutreten, erzählt er heute, und er rechtfertigt sich: »Was sollst du schon sagen als Einziger in einer Runde aus Burschen? Heute würde ich mich natürlich wehren.«

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Nach der Matura wurde Salzburg für Martin zu klein. »Es ist im Grunde wie ein kleines Dorf, das halt wegen der Festspiele viel von sich hält. Aber eigentlich laufen die Menschen dort mit Scheuklappen durch die Welt, sie wollen nichts Neues.« Martin arbeitete im Ausland, organisierte Ski-Projekte in den französischen Alpen, bevor er schließlich nach Wien ging, wo er heute Psychologie studiert.

Er ist ein »unsichtbarer Migrant« mit einem österreichisch klingenden Namen und geschliffenem Deutsch, aber »verösterreichert«, sagt er, das sei er ganz und gar nicht. »Ich bin stolz darauf, dass ich Tscheche bin, und sage das auch immer. In Wien wird das positiv wahrgenommen, weil praktisch jeder, dem ich begegne, irgendwo herkommt. Mein Freundeskreis ist eine echte Melange.«

Irgendwie schließt sich damit auch der familiäre Kreis, Martins Urgroßvater, Julius Blum, war Geschäftsmann in Wien. Seine Vorfahren waren Mitglieder jüdischer Sportclubs, bevor die Nazis diese aufgelöst haben. Nun spielt Martin selbst bei der Hakoah Basketball, mit seinen jüdischen Mitspielern feiert er – obwohl Atheist – hin und wieder Sabbat. Bei der Makkabiade, den jüdischen Olympischen Spielen, ist er für seine neue Heimat angetreten. »Bei diesem Ereignis war ich sehr stolz, für Österreich zu spielen.«

Und was ist tschechisch an Martin? »Ich würde sagen, dass ich mehr Chuzpe bin als die meisten Österreicher.« Das mache diese Mischung aus jüdischer und tschechischer Mentalität, mit der er aufgewachsen sei: »Im Kommunismus war nichts erlaubt, und man musste manchmal ein bisschen dreist sein, um sich seinen Weg zu bahnen.« An seiner Mutter, sagt er, sehe er das immer wieder, zum Beispiel weil sie in Salzburg ihren Hund nicht an die Leine nimmt, auch wenn das andere Spaziergänger ärgert.

Das Thema »Zivilcourage« wird in der Familie Blum großgeschrieben. »Dass man sagt, was man denkt, und nicht aalglatt durchs Leben geht« – so definiert Martin das für sich. Mit österreichischer Politik habe er sich dennoch lange nicht beschäftigt, auch nicht mit Ausländer-Politik. »Ich habe gut Deutsch gesprochen, ich war integriert, ich bin ja sogar Staatsbürger. Ich dachte, das sei kein Thema, das mich persönlich betrifft.« Erst im Lauf der letzten Jahre habe die heimische Politik begonnen, ihn zu fesseln – »und jetzt muss ich mich ständig aufregen«, erzählt Martin halb selbstironisch, halb ernst.

Besonders die Positionierung der FPÖ ärgert ihn, etwa, wenn dort wieder einmal mit antisemitischen Zeichnungen oder antisemitischer Wortwahl geliebäugelt wird. »Ich glaube, Österreich hat sehr wenig Aufarbeitungsprozess hinter sich, hier sieht man sich immer noch als erstes Opfer des Nationalsozialismus. Das ist in Deutschland ganz anders, weil man sich damit abgefunden hat, dass man im Zweiten Weltkrieg die Täter-Nation war.« Historisch könne er es schon verstehen, dass die Freiheitlichen in Österreich ein großes Wähler-Potenzial hätten – »aber mich erschüttert die Masse der Menschen, die das gutheißt«.

Martin selbst hat das Ausländer-Sein aber nie als Last empfunden, für das Berufsleben gelte sogar das Gegenteil, meint er. »Teilweise werde ich deswegen mit offenen Armen empfangen. Wegen der Sprachkenntnisse, aber auch, weil man dann gleich einmal einen Einstieg ins Gespräch hat.« In fast jedem seiner bisherigen (Studenten-)Jobs habe er irgendwann irgendwas ins Tschechische übersetzen müssen.

Wer Martin nach seinem Zuhause fragt, bekommt keine so eindeutige Antwort. »Ich habe so ein Dreieck gebildet zwischen Salzburg, Wien und Prag.« Alle drei Städte hätten ihre Vorteile: In Prag teile er eine Wellenlänge mit den Tschechen, ein Gefühl, das ihm andernorts fehlt; in Salzburg seien die Freunde aus der Schule, viele Erinnerungen, die Berge; an Wien schätzt Martin, dass es kulinarisch und kulturell einiges zu bieten hat. Während des Studiums hat Martin ein Auslandssemester in Prag absolviert und dort ausgerechnet bei der Österreich Werbung gearbeitet. »Es war total interessant, in der Stadt meiner Kindheit zu leben. Ich würde nie ausschließen, dass ich dorthin zurückgehe.«

Seinen Eltern sei es besonders schwergefallen, sich in Österreich zu integrieren, obwohl sie beruflich gut Fuß fassen konnten. »Es ist wahrscheinlich schwieriger, sich in Salzburg zu integrieren als anderswo in Österreich«, sagt Martin über die Stadt seiner Jugend. »Man sagt ja: Wer in Salzburg nicht geboren ist, kommt nicht in die Gesellschaft hinein.«

Seine Mutter bekomme noch heute zu spüren, dass sie eben nicht von hier sei. »Sie hat keinen einzigen Salzburger oder anderen Österreicher als Freund.« Deswegen ziehe es sie auch zunehmend wieder zurück nach Prag. »Sie mag die Lebensqualität in Salzburg, die schöne Wohnung und den Garten. Nach Prag fährt sie wegen der Freunde, der Kultur. Dann geht ihr der Schmutz wieder auf die Nerven, und sie fährt zurück nach Salzburg.«

Das bedeute mehr, als das Beste aus zwei Welten zu haben – sie brauche eben mehr als einen Pfeiler im Leben, erzählt Martin. Eine Vorstellung, die auch ihm selbst gut gefällt. Ans Sesshaftwerden mag er mit Anfang dreißig noch nicht so recht denken. »Kann sein, dass das so ein Männer-Ding ist«, räumt er ein. Aber die Flucht, der Freiheitsdrang der Eltern, das habe ihn doch sehr geprägt. »Ich denke, ich bin einfach Kosmopolit.«

Das schlägt sich auch in Martins bunt gemischtem Freundeskreis nieder, in dem sich viele Nationalitäten finden – die Österreicher sind freilich stark in der Unterzahl. Die Mentalitätsunterschiede hat Martin auch immer gespürt, wenn er mit Österreicherinnen zusammen war. Vor einiger Zeit hat er sich in eine Slowakin verliebt, und plötzlich hat er dieses Gefühl des Angekommen-Seins.

Auch ein anderes Thema hat Martin zur Herzensangelegenheit erklärt: »Beim Sport erkennt man sofort, wo jemand herzensmäßig steht«, meint er. Wenn Österreich gegen Tschechien spiele, muss er nicht überlegen, wem er die Daumen halten soll: »Da bin ich ein fanatischer Anhänger der tschechischen Nationalmannschaft.« So würden das auch andere Freunde mit migrantischem Background handhaben, das führt zu spannenden Fußball-Abenden. Nur beim Skifahren, wenn kein Tscheche dabei ist, drückt Martin den Österreichern die Daumen. Sie sollen wenigstens in dem einen Sport reüssieren, erklärt er schmunzelnd: »Ich glaube, die Unterstützung kommt eher aus Mitgefühl heraus.«

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»Sagen Sie es mir: Woher bin ich?«

MICHÈLE COOKE
Von Sri Lanka über London nach Wien – und Irland

Es ist mehr als dreißig Jahre her, dass Michèle Cooke zum ersten Mal über die Kärntner Straße gegangen ist. Anfang zwanzig war sie damals, eine zierliche Person mit schwarzem Haar. Und mit einer Hautfarbe, die gerade eine Nuance zu dunkel war, als dass sie zu einer durchschnittlichen Österreicherin gehören hätte können. Im Wien der 1970er ein alles andere als alltäglicher Anblick, und während sonst Direktheit nicht unbedingt eine typische Eigenschaft der Wiener ist, machten sie damals aus ihrer Verblüffung keinen Hehl. »Die Leute haben auf mich mit dem Finger gezeigt und gesagt: ›Schau, ein Neger!‹ So war das damals«, erinnert sich Michèle.

Ihre Biografie ist außergewöhnlich, der Grund, warum es sie nach Wien verschlagen hat, ist es weniger: Sie hatte sich verliebt. »Also, eigentlich war der Mann der Anlass, nicht der Grund«, korrigiert sich Michèle selbst und lacht. Sie hatte gerade an der University of London ihren Bachelor in Französisch und Englisch gemacht, Deutsch hatte sie in der Schule einige Jahre lang gelernt. »Dann habe ich einen feschen Wiener kennengelernt, der hat gesagt: Komm nach Wien. Ich hab gedacht: Warum nicht? Ich war jung, ahnungslos und hab gedacht, ich sei verliebt.« Das typische Austriakum »fesch« kommt Michèle, der Übersetzerin, leicht über die Lippen, wenn sie davon erzählt.