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THOMAS STOMPE

UNTER MITARBEIT VON JÜRGEN HAZTENBICHLER

VOM
WAHN
ZUR
TAT

WAHRE FÄLLE AUS DER
FORENSISCHEN PSYCHIATRIE

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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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im Niederösterreichischen Pressehaus
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ISBN ePub:
978-3-7017-4334-6

ISBN mobi:
978-3-7017-4404-6

ISBN Printausgabe:
978-3-7017-4419-0

INHALT

Einführung

1. Die Schizophrenie – oder wie es ist, aus der Welt zu fallen

2. Die rechtlichen Rahmenbedingungen des österreichischen Maßnahmenvollzugs

3. Schizophrenie und Delinquenz

Exkurs: Gesunde und psychotische Gewalttäter

4. Wahnmotivierte Tötungen und Mordversuche

Der Fall Wolfgang S. – Verfolgt von Zeitungskolporteuren

Der Fall Walter M. – Mit dem Messer gegen Mutter und Schwester

Der Fall Günther L. – Töten, um ein Zeichen zu setzen

Der Fall Franz F. – Der Kopf der Mutter

Der Fall Kurt B. – Den Vampir töten

5. Körperverletzungen und Nötigungen

Der Fall Herbert S. – Wenn Stimmen bestimmen

Der Fall Josef D. – Eine verworrene Geiselnahme

Der Fall David K. – Schwere Körperverletzung mit Todesfolge

Der Fall Gerhard O. – Eine chronisch katatone Schizophrenie

Der Fall Manfred A. – Der Selbstmörder, der leben will

Exkurs: Das Konzept der Psychopathie

Geschichte eines Begriffs

Straffälligkeit, Rückfälligkeitsprognosen und Therapie

6. Brandstiftung, Diebstahl, Sexualdelikte, gefährliche Drohung

Der Fall Ernst W. – Der Brandstifter

Der Fall Josef F. – Der Vergewaltiger

Der Fall Stefan M. – Der hebephrene Räuber

Der Fall Ivan B. – Gefährliche Drohungen

Der Fall Christian H. – Der Schlossherr von Göllersdorf

Die Behandlung von schizophrenen Rechtsbrechern

Krankheitsprofil

Defizitprofil

Ressourcenprofil

Risikoprofil

Glossar

EINFÜHRUNG

Der 22. Juli 2011 ist ein katastrophaler Tag für Norwegen: Andreas Behring Breivik, ein bis dahin relativ unauffälliger, zurückgezogen lebender junger Mann, verübt in Oslo und auf der Ferieninsel Utoya seine von langer Hand geplanten Anschläge. Einer Autobombe in der Hauptstadt folgt ein Massaker in einem sozialdemokratischen Jugendcamp. 77 Tote fordern die Anschläge insgesamt. Breivik wird noch am Tatort seines Massenmordes festgenommen. Bereits wenige Stunden später meldeten sich die ersten Experten im Fernsehen und in den Printmedien zu Wort. Das große Rätselraten, was die Ursache einer derartig unfassbaren Tat sein könnte, begann. Taten wie diese hinterlassen einen Sprung in unserem Weltbild. Zwar sind wir tagtäglich damit konfrontiert, dass in Ländern wie dem Irak oder Pakistan alle paar Tage dutzende Menschen das Opfer von Terroranschlägen oder Stammeskämpfen werden, aber so etwas im „zivilisierten“ Europa, begangen von einem Europäer an Europäern? Wer war also Andreas Behring Breivik, was haben wir uns für einen Menschen vorzustellen, der, von langer Hand geplant, derart grausame Taten begehen konnte, ohne eine spürbare affektive Beteiligung zu zeigen? Unter den vielen Mutmaßungen, die über seinen Geisteszustand und seine Persönlichkeit aufgestellt wurden, fand sich am häufigsten die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie. Nun ist es freilich nicht unproblematisch, Ferndiagnosen zu treffen, und es ist im Allgemeinen unzulässig, aus der Art der Tat eins zu eins Rückschlüsse auf den Geisteszustand des Täters zu ziehen. Ich hatte vorsichtige Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose, ohne jedoch denselben Fehler begehen zu wollen, den ich bei anderen kritisiert hatte. Das, was ich jedoch relativ leicht feststellen konnte und kann, ist, dass ein Verbrechen wie jenes, das Breivik verübt hatte, nicht typisch für die Taten von Menschen ist, die unter einer Schizophrenie leiden.

Viel häufiger finden sich Konstellationen wie der Fall eines 34-Jährigen, der im August 2011 im Parlament eine Geisel nahm. Um ein Gespräch mit Bundespräsident Heinz Fischer zu erzwingen, brachte der Asylwerber im August 2011 ein weibliches Mitglied des Sicherheitsdienstes im Parlament in seine Gewalt. Erst eine Einsatzgruppe der Polizei konnte den Iraner überwältigen. Warum er mit dem Bundespräsidenten reden wollte, konnte aus seinen Angaben nicht schlüssig erklärt werden. Der ORF berichtete: „Er wollte dem Bundespräsidenten mitteilen, dass er der Vater von Strache und Jesus ist, er wollte von ihm wissen, wo sein millionenschweres Vermögen ist, das im Übrigen von der Jungfrau Maria bewacht werde. Zudem habe Österreich das Problem, kein Erdöl zu besitzen und es habe seit 32 Tagen kein WC mehr gegeben. In der kanadischen Botschaft würden sieben Geiseln festgehalten.“ Der Mann wurde in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht. Ein Gutachten bescheinigte ihm Schizophrenie mit Wahnvorstellungen.

In meiner zwanzigjährigen Tätigkeit in der Forensischen Psychiatrie hatte ich die Gelegenheit, etwa zweihundert schizophrene Straftäter kennenzulernen. Oft waren es langjährige, regelmäßige Kontakte, in denen ich tiefe Einblicke in die Persönlichkeit, die Krankheit und die Tatmotive dieser Menschen gewinnen konnte. Bei allen Unterschieden, die sich dabei ergaben, fand sich doch eine Gemeinsamkeit: Die Mehrzahl der Delikte geschah spontan oder aufgrund des Bedürfnisses, sich gegen eine vermeintliche Bedrohung zur Wehr zu setzen. Längerfristig geplante Taten fand ich nicht. Ich möchte allerdings keineswegs ausschließen, dass es äußere Situationen und innerpsychische Konstellationen gibt, die einen Menschen, der unter einer Schizophrenie leidet, dazu bringen, von langer Hand derartig wohlkalkulierte Taten zu planen und durchzuführen. Es sollte uns jedoch klar sein, dass es sich hierbei keinesfalls um eine Tat handelt, die charakteristisch für diese Patientengruppe ist. Diese Überlegungen veranlassten mich schließlich, das hier vorliegende Buch zu schreiben. Die Taten von schizophrenen Menschen sind oft bizarr und auf den ersten, manchmal auch auf den zweiten Blick unverständlich, Massen- und Serienmörder findet man hier jedoch für gewöhnlich nicht. Wie wir aus verschiedenen, vorwiegend amerikanischen Studien wissen, werden Serien- und Massenmorde zumeist von Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen begangen. Ich möchte daher die Diskussionen, die sich in den letzten eineinhalb Jahren zum Fall Breivik entwickelt haben, benutzen, um Einblicke in das Erleben, in die Tatmotive und die Ausführung der Taten schizophrener Menschen zu geben. Dazu scheint es in einem ersten Schritt notwendig zu verdeutlichen, was unter Schizophrenie zu verstehen ist. „Schizophrenie“ und „schizophren“ sind Begriffe, die Journalisten und Politiker gern verwenden, um damit mehr oder weniger widersprüchliches Denken oder Handeln zu bezeichnen. Als schizophren kann inzwischen alles bezeichnet werden, von Einstellungen über Beziehungen bis zur Gesellschaft. Es gilt also im ersten Schritt klarzumachen, mit welchen Erscheinungsformen des Erlebens wir es zu tun haben.

Damit die weiteren Ausführungen verständlich sind, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen des österreichischen Maßnahmenvollzugs vorgestellt werden. Wie danach zu zeigen sein wird, haben Schizophreniekranke höhere Raten an Gewaltdelinquenz, trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines psychotischen Menschen zu werden, sehr gering. Wie diese Widersprüche zu erklären sind und welche Ursachen für Gewalttätigkeiten sich bei diesen Kranken finden, wird im nächsten Abschnitt erläutert. Im zweiten Teil werden die zuvor präsentierten Fakten anhand von Fallbeispielen anschaulich gemacht. Abschließend beschäftigen wir uns mit den Bemühungen der Forensischen Psychiatrie, schizophrene Straftäter wieder in die Gesellschaft zu reintegrieren. Dieser Abschnitt umfasst die Beschreibung der therapeutischen Bemühungen im Maßnahmenvollzug sowie die Rahmenbedingungen für eine bedingte Entlassung und das Leben danach.

Ich möchte mich beim Residenz Verlag bedanken, der mir die Möglichkeit gab, einen Teil meiner Erfahrungen, die ich mit schizophrenen Menschen gemacht habe, im vorliegenden Buch zu veröffentlichen. Mein besonderer Dank gilt Jürgen Hatzenbichler, der mich unterstützte, eine sprachlich angemessene Form dafür zu finden. Widmen möchte ich das Buch meiner Frau und meinen Kindern, die mich auch diesmal aufopfernd und selbstlos unterstützt haben.

1. DIE SCHIZOPHRENIE – ODER WIE ES IST, AUS DER WELT ZU FALLEN

Der Terminus Schizophrenie wurde 1911 von dem Schweizer Psychiater Eugen Bleuler in seiner Monographie Dementia praecox oder Die Gruppe der Schizophrenien eingeführt. Die Beschreibungen dieses Krankheitsbildes können allerdings auf eine wesentlich längere Geschichte zurückblicken. Wilhelm Griesinger unterschied bereits 1845 zwischen primärer „Verrücktheit“ und sekundären Schwächezuständen, Ewald Hecker (1871) und Karl Ludwig Kahlbaum (1874) veröffentlichten Arbeiten über das „Jugendirresein“ (Hebephrenie) und über das „Spannungsirresein“ (Katatonie). Emil Kraepelin fasste 1893 die Paranoia, die Hebephrenie und die Katatonie in seinem Lehrbuch unter dem Begriff Dementia praecox zusammen. Während nach Kraepelin die Dementia praecox vorrangig durch ihren chronischen Verlauf und schlechten Ausgang charakterisiert ist, hielt Bleuler die im Querschnitt erfassbare Symptomatik für entscheidend. Als die Grundsymptome der Schizophrenie beschrieb er Assoziationslockerung, Affektstörungen, die Parathymie (hier entspricht der affektive Ausdruck nicht dem Inhalt des Gesagten), Autismus und Ambivalenz. Diesen stellte er akzessorische, also „hinzutretende“ Symptome wie etwa Sinnestäuschungen, Wahnphänomene und katatone Symptome gegenüber. Bleuler wählte den Terminus Schizophrenie, weil er mentale Assoziationsstörungen für die Grundstörung der Krankheit hielt. Gemeint war damit das Auseinanderfallen gedanklicher Verbindungen, was sich in Denk- und Sprachstörungen ausdrückt, oder die Lockerung der Verknüpfungen zwischen Gefühlsausdruck und Inhalt des Gesagten, was sich in fehlender Übereinstimmung zwischen Stimmung und Wahninhalt bzw. realen Erlebnissen äußern kann. Ein charakteristisches Beispiel dafür wäre Heiterkeit nach einer Todesnachricht oder Verzweiflung nach erfolgreich bestandener Prüfung. Mit Persönlichkeitsspaltung oder mit den trivialen Widersprüchlichkeiten in Alltag, Medien und Politik hat diese Bleuler’sche Assoziationsstörung nichts zu tun. Ein weiterer wichtiger Schritt zur besseren Erfassung der Schizophrenie waren die sogenannten Symptome ersten Ranges, die von Kurt Schneider beschrieben wurden. Darunter werden heterogene Symptome verstanden, die es erlauben, Schizophrenien von anderen psychotischen und nicht psychotischen Störungen zu unterscheiden. Es lohnt sich, etwas näher darauf einzugehen, da diese Symptome bereits erste Einblicke in die Erlebniswelt dieser Kranken bieten. Von Wahnwahrnehmungen spricht man, wenn der Kranke die Welt zwar so wahrnimmt wie vor dem Ausbruch der Erkrankung, das Wahrgenommene jedoch abnorm interpretiert und auf sich bezogen wird. Ein Beispiel dafür wäre ein Patient, der einen roten Strich auf einem Blatt Papier als Botschaft versteht, dass er am selben Tag noch umgebracht werden soll. Weitere häufig auftretende Symptome ersten Ranges sind spezielle Formen von akustischen Halluzinationen, Stimmen etwa, die das Verhalten des Kranken kommentieren, oder mehrere nicht anwesende Personen, die über den Betroffenen sprechen. Andere Erstrangsymptome beruhen auf der psychotischen Durchlässigkeit der Ich-Grenzen. Gedanken sind dann nicht mehr die eigenen Gedanken, sondern werden von jemandem eingegeben oder manipuliert, sie können umgekehrt aus dem Kopf entfernt werden, können für andere hörbar werden oder sich ausbreiten – allesamt Erlebnisse, die einen äußerst beunruhigenden Charakter für den Betroffenen haben. In den heute weltweit verwendeten, international etablierten Diagnosesystemen der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) und der American Psychiatric Association (DSM-IV) stellt der Schizophreniebegriff weitgehend ein Amalgam der oben beschriebenen Konzepte dar. Sowohl Emil Kraepelins Hinweise auf die Bedeutung des Verlaufs als auch die Grundsymptome Eugen Bleulers und die Erstrangsymptome Kurt Schneiders wurden dabei berücksichtigt. Schizophrenie oder, um mit Bleuler zu sprechen, die Gruppe der Schizophrenien ist im heutigen Verständnis nach ihren charakteristischen Symptomen zunächst als Psychose definiert. Als solche äußert sie sich in Veränderungen der inneren und äußeren Wahrnehmung, der Kognitionen und der Emotionalität und häufig auch in Veränderungen des Ausdrucks und des Verhaltens, in nahezu allen Fällen ist das Denken gestört. Subjektiv erlebt der Betroffene, dass die Gedanken abreißen, dass sich ein Gedanke über den anderen schiebt (Gedankengleiten), dass sich das Denken der eigenen Kontrolle entzieht. Als sogenannte Positivsymptomatik werden Phänomene bezeichnet, die beim Gesunden nicht vorhanden sind. Zentral sind hier Wahn und Halluzinationen zu nennen. Als herausragende Eigenschaften bezeichnete der Psychopathologe und spätere Philosoph Karl Jaspers die unvergleichliche subjektive Gewissheit, die Unkorrigierbarkeit und die Unmöglichkeit des Inhalts der Schilderungen seiner Kranken. In den Wahnerzählungen der Patienten können verschiedene Themen auftauchen. Im Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn fühlt sich der Kranke bedroht. Charakteristisch ist, dass sich alles auf ihn bezieht, die Welt ist für ihn wie eine Kulisse, hat einen fremdartigen Charakter angenommen. Die vermeintlichen Verfolger können sowohl reale Personen als auch übernatürliche Mächte, Teufel und Dämonen sein. Nicht nur die umgebende Welt kann als verändert wahrgenommen werden, auch die eigene Person kann einem Wandlungsprozess unterzogen sein. Beim Größenwahn schreibt sich der Kranke übernatürlich große Fähigkeiten und Eigenschaften zu oder kann eine neue wahnhafte Identität – häufig religiöser Natur – annehmen. So erinnere ich mich noch gut an eine Psychotherapiegruppe, die ich vor achtzehn Jahren gehalten habe. Damals meinten drei Männer, Jesus Christus zu sein, und gerieten in Streit, da sie die jeweils anderen für Ketzer oder den Antichristen hielten.

Die an sich selbst wahrgenommene Veränderung kann jedoch auch negativer Natur sein, der Körper kann als unheilbar krank wahrgenommen werden, meistens durch Einwirkung von außen. Hier spricht man von einem hypochondrischen Wahn. Oder es gewinnen reale und vermeintliche Handlungen in der Vergangenheit einen übermächtig schuldhaften Charakter. Manchmal allerdings macht sich der Betroffene schon durch seine bloße Existenz schuldig. Wie bereits angedeutet, spielen auch Wahrnehmungsveränderungen eine große Rolle in der schizophrenen Psychose. Halluzinationen können in allen Sinnesgebieten auftreten. Akustische Halluzinationen, das sogenannte Stimmenhören, kommen allerdings am häufigsten vor. Von coenästhetischen Halluzinationen spricht man, wenn die inneren Organe als verändert wahrgenommen werden. Eine Patientin berichtete etwa, dass ihr jeden Tag in der Nacht Herz und Gedärme entzweigerissen werden und sich am Morgen wieder selbst zusammensetzen. Dieses Auseinanderreißen sei sehr schmerzhaft, allerdings qualitativ ganz anders als normale Schmerzen. Andere halluzinatorische Veränderungen können die optische Wahrnehmung betreffen. Die Bandbreite der optischen Halluzinationen reicht von einfachen Elementarhalluzinationen (färbige Wolken, Ringe, Sterne etc.) bis zu komplexen szenischen Halluzinationen. Selten findet man Geschmacks- und Geruchshalluzinationen oder Berührungshalluzinationen. Zur Positivsymptomatik gehören weiters die katatonen Symptome. Darunter versteht man Auffälligkeiten auf der Ebene der Psychomotorik, die sich in Hypo- und Hyperphänomene unterteilen lassen. Unter Hyperphänomenen versteht man verschiedene stereotype Bewegungen oder Bewegungsmanierismen, unter Hypophänomenen Stupor (bewegungsloses Verharren) und Negativismus (Verweigerungshaltung). Katatone Zustandsbilder können zu kritischen Situationen für die Patienten und ihre Umgebung führen. In der katatonen Erregung, die nicht selten unvorhergesehen und plötzlich auftritt (Raptus), können die Patienten toben und schreien, gegen Wände und Türen rennen oder Anwesende angreifen. Während die Positivsymptomatik also Phänomene wie den Wahn und Wahrnehmungsveränderungen umfasst, die beim Gesunden nicht vorhanden sind, ist die Negativsymptomatik durch das Fehlen von Funktionen und Aspekten der Psyche charakterisiert. Betroffen sind hier vor allem der Antrieb und die Emotionalität, es können jedoch auch die Denkabläufe verarmen und die Sprachproduktion nahezu versiegen. Häufiger findet man allerdings affektive Veränderungen. Von Affektverflachung spricht man, wenn die Emotionen wie Freude, Trauer, Ärger, Liebe, Mitleid oder Ekel an Kraft verlieren. Auch bei Themen, die für den Patienten bedeutsam sein sollten, klingt die Stimme dann einförmig. Oft bestätigen die Betroffenen, dass sie weniger spüren als vor der Erkrankung, die meisten Dinge seien gleichgültig geworden. Die Affektverflachung betrifft zumeist nicht alle Bereiche der Emotionalität gleichmäßig, die sogenannten höheren Gefühle wie Sympathie, Mitleid, Reue, Schuld- und Schamgefühle verflachen üblicherweise früher als die sogenannten basalen Gefühle wie Trauer, Freude, Wut und Angst. Verwandt mit der Affektverflachung ist die Affektverarmung. Hier sind einige Gefühlskomponenten noch intakt, andere sind dagegen kaum mehr vorhanden. Oft findet man bei schizophrenen Patienten, dass die Wahnthemen durchaus mit einem starken Affekt unterlegt sind, während der Alltag kaum mehr affektiv besetzt ist.

Wie bereits Kraepelin und Bleuler richtig erkannt haben, kann Schizophrenie eine durchaus vielfältige Symptomatik zeigen, weshalb zumeist verschiedene Subtypen der Erkrankung unterschieden werden, die mehr oder weniger stabile klinische Bilder sind. Der Tradition Kraepelins und Bleulers folgend werden im klinischen Alltag als Haupttypen die paranoide, die hebephrene und die katatone Schizophrenie unterschieden. Die paranoide Schizophrenie ist charakterisiert durch Wahnideen und/oder Halluzinationen. Bei der hebephrenen Schizophrenie stehen Affekt-, Denk- und Antriebsstörungen im Vordergrund, katatone Symptome sind in der Regel nicht vorhanden, Wahn und Halluzinationen, wenn überhaupt, nur in flüchtiger, fragmentarischer Form. Der Affekt ist flach, oft unpassend heiter, das Denken ist ungeordnet, die Sprache zumeist unbestimmt. Die Antriebsstörung kann sich in einem apathisch indifferenten oder rastlos enthemmten, distanzlosen Verhalten äußern. Die katatone Schizophrenie ist durch psychomotorische Symptome wie Stupor (Bewegungslosigkeit), psychomotorische Erregung, Haltungsstereotypien, Negativismus, wächserne Biegsamkeit, Befehlsautomatie und Sprachstereotypien charakterisiert. Von einer undifferenzierten Schizophrenie spricht man, wenn die einzelnen Kriterien der paranoiden, hebephrenen oder katatonen Schizophrenie nicht eindeutig erfüllt sind. Diese Diagnose kann allerdings nur bei akuten schizophrenen Erkrankungen gestellt werden. Wenn bereits früher einmal wenigstens ein psychotisches Zustandsbild aufgetreten ist, das die allgemeinen Kriterien der Schizophrenie erfüllt hat, und während der letzten zwölf Monate lediglich ausgeprägte negative Symptome vorhanden waren, so ist ein schizophrenes Residuum zu diagnostizieren.

Die familiäre Häufung ist als Ausdruck einer genetischen Komponente zweifelsfrei belegt. Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass 80 Prozent der Schizophrenien sporadisch und daher ohne erkennbare weitere Erkrankungsfälle in der Familie auftreten. In diesen Fällen findet man gelegentlich Geburtskomplikationen und Schwangerschaftsinfektionen in der Anamnese. Neben diesen biologischen Faktoren können auch psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen. Kritische Lebensereignisse wie Ortswechsel (z. B. Migration), Eintritt in den Beruf oder Arbeitsplatzwechsel, beruflicher Auf- oder Abstieg, Ablösung vom Elternhaus, Beginn bzw. Ende einer Partnerschaft usw. stellen besondere Anforderungen an das Adaptionspotenzial des Betroffenen. Erkrankungsbedingte Funktionseinschränkungen mindern dabei die Kompetenz, diese klassischen Lebensthemen zu bewältigen. Auch Kommunikationsstörungen innerhalb der Familien der Betroffenen können einen Beitrag zur Erkrankung, vor allem zum Wiedererkrankungsrisiko leisten. Wie bei normalen psychischen Funktionsabläufen ist auch bei psychopathologischen Phänomenen wie der Schizophrenie von einem neurochemischen Korrelat auszugehen. Im Zuge der Erkrankung kommt es zu einer Regulationsstörung des Dopaminstoffwechsels, eines Neurotransmitters, der für das Belohnungssystem im Gehirn eine entscheidende Rolle spielt. Gefunden wurde eine Überaktivität in den limbischen Hirnregionen, die eine wichtige Rolle in der Regulation der Emotionen spielen.

Der Verlauf der Schizophrenien kann genauso wie die Querschnittsymptomatik sehr unterschiedlich sein. Die Krankheit bricht zumeist im Verlauf des dritten Lebensjahrzehnts aus. Nicht immer, aber in einer Vielzahl von Fällen geht der eigentlichen Erkrankung eine Vorläuferphase voraus, die einige Monate bis viele Jahre andauern kann. Häufig sind in dieser Phase Auffälligkeiten wie ein schwindendes Engagement in der Schule oder bei der Arbeit, eine Vernachlässigung der Körperhygiene und der Kleidung, ungewohnte Launenhaftigkeit oder Wutausbrüche sowie sozialer Rückzug von der Familie zu beobachten. Eltern und Lehrer schätzen diese Entwicklung nicht selten als Pubertäts- oder Adoleszenzkrisen ein. Treten die ersten oben beschriebenen psychotischen Symptome auf, so spricht man von der Erstmanifestation oder der aktiven Erkrankungsphase. Die psychotische Symptomatik kann sich in manchen Fällen komplett zurückbilden, um eventuell nach Jahren wieder aufzutreten. Meistens verläuft jedoch die Erkrankung schubhaft und ohne komplette Remission der positiven oder negativen Symptomatik, in vielen Fällen chronisch fortschreitend ohne abgesetzte psychotische Episoden. Hinsichtlich der psychischen Langzeitfolgen zeigt sich, dass etwa 20 Prozent der nachuntersuchten Patienten eine Vollremission aufweisen, etwa 45 Prozent ein uncharakteristisches und 35 Prozent ein charakteristisches Residuum. Das uncharakteristische Residuum ist hauptsächlich durch eine kognitive und dynamische Insuffizienz (eingeschränkte Funktionsfähigkeit) gekennzeichnet, während man beim charakteristischen Residuum Bleuler’sche Grundsymptome wie Denkzerfahrenheit, Parathymie und Autismus sowie Kurt Schneiders Erstrangsymptome finden kann. Auch die sozialen Langzeitfolgen der Erkrankung sind beträchtlich, nur etwa 50 Prozent der Patienten sind nach zwei Jahrzehnten Erkrankung erwerbstätig, zwei Drittel davon auf dem ursprünglichen Niveau, ein Drittel unterhalb des früheren Niveaus.

2. DIE RECHTLICHEN RAHMENBEDINGUNGEN DES ÖSTERREICHISCHEN MASSNAHMENVOLLZUGS