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GUDULA WALTERSKIRCHEN

„Der Franzi war ein wenig unartig“

HOFDAMEN DER HABSBURGER ERZÄHLEN

RESIDENZ VERLAG

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
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Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2013 Residenz Verlag
im Niederösterreichischen Pressehaus
Druck- und Verlagsgesellschaft mbH
St. Pölten – Salzburg – Wien

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.
Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:
978-3-7017-4336-0

ISBN Printausgabe:
978-3-7017-3301-9

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Einleitung

1 Hofdamen – intime Beobachterinnen

2 »Der Franzi war ein wenig unartig!«
Über die Erziehung der kleinen Habsburger

3 »Sie sitzen da und langweilen sich«
Privater Umgang, Gewohnheiten und Familienleben der Habsburger

4 Der Glanz des Kaiserhofes
Bälle, Feste und Repräsentation

5 Abenteuer Reisen

6 Skandale, intime Beziehungen und Heiraten

7 Wenn das Schicksal zuschlägt
Trauer und Tod

8 Weltgeschichte bestimmt das Privatleben
Revolution, Flucht und Kriege

Dank

Lexikon der Fachbegriffe

Zeittafel

Stammbaum der Habsburger

Quellen und Literatur

Anmerkungen

Personenregister

VORWORT

Wie geht es bei den Royals zu? Wer verlobt sich mit wem? Welche Prinzessin ist schwanger? Wie lebt man an einem Fürstenhof? Alle diese Themen beschäftigen heute illustrierte Blätter und werden vom Publikum begierig aufgesogen – selbst wenn die Berichte nicht der Realität entsprechen. Meist wissen Klatschreporter die Vorgänge nur von der Gerüchtebörse, und welch ein Glücksfall, wenn einmal ein Hofangestellter »auspackt«.

Im Zeitalter der Habsburger gab es ebenfalls diesen »Hoftratsch«, der in Boulevardblättern verbreitet wurde. Doch wie es wirklich bei Hof zuging, erfuhr das Volk nicht. Zu dicht waren die Reihen des Hofstaats geschlossen, der ausschließlich aus Mitgliedern alter Adelsgeschlechter bestand, völlig abgeschottet lebte und unter sich blieb. Und dennoch gibt es für den Historiker Möglichkeiten, hinter den Paravent der offiziellen Repräsentation zu blicken und mehr vom Familien- und Privatleben am Hof der Habsburger zu erfahren. Als hervorragende Quelle erweisen sich die Hofdamen und Erzieherinnen, die in ihren Briefen und Tagebuchaufzeichnungen ausführlich über das Hofleben berichten. Aufgabe der Hofdamen war es, die weiblichen Mitglieder der Kaiserfamilie überallhin zu begleiten, sie zu unterhalten, Sekretariatsdienste zu leisten und ihnen im Idealfall als Freundin zur Seite zu stehen. Diskretion war daher die oberste Maxime für jene, denen die Ehre zuteilwurde, dem Kaiser, der Kaiserin oder deren Familienmitgliedern zu dienen.

Diese Aufzeichnungen waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und sind damit glaubwürdige und authentische Beschreibungen der einzelnen Mitglieder der kaiserlichen Familie, ihres Familienlebens, ihrer Gemütszustände, der Familienfeste und der Wirkung außerordentlicher politischer Ereignisse, wie etwa der Revolution von 1848, auf die Familie. Damals floh Kaiser Ferdinand samt seiner Familie nach Tirol und später nach Olmütz, weil er ihr Leben bedroht sah.

Sehr anschaulich gelang die Schilderung des Alltagslebens der allerhöchsten Familie Louise von Sturmfeder, der Erzieherin von Erzherzog Franz Joseph und seiner Geschwister, die in ihrem Tagebuch detailreich die Entwicklung des späteren Kaisers und ihres ausgesprochenen Lieblings von Geburt an schildert. Gräfin Irma Sztáray, die Kaiserin Elisabeth in ihren letzten Jahren auf ihren abenteuerlichen und strapaziösen Reisen begleitete, führte Tagebuch über ihre Erlebnisse. Landgräfin Therese Fürstenberg beschreibt in ihren kritisch-offenen Briefen an ihre Schwestern schonungslos, wie es bei Hof zuging.

Etliche der Quellen, die ich zitiere, wurden von mir neu entdeckt, manche wurden bereits in der breiten Habsburger-Literatur als kurze Passagen zitiert. Ihre Wirkungskraft und Anschaulichkeit entfalten diese lebendigen Schilderungen jedoch erst, wenn man sie ausführlich wiedergibt. Naturgemäß sind sie subjektiv und im Detail nicht immer korrekt, doch ihre Unmittelbarkeit macht diesen Mangel mehr als wett. Lassen Sie sich also in die längst versunkene Welt des Habsburgerhofes zu Wien zurückversetzen!

EINLEITUNG

Eine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen, ist ein Abenteuer. Natürlich hatte ich bereits eine ungefähre Vorstellung, wohin die Reise gehen sollte. Doch wenn man beginnt, in Archiven zu »graben«, ist es immer ungewiss, ob man das findet, was man zu finden hofft. Oft wird man enttäuscht, dafür entdeckt man Schätze, von denen man nicht einmal ahnte, dass sie existieren. Bei den Recherchen zu dem vorliegenden Buch erlebte ich ein wahres Wechselbad. Am Beginn stand eine Enttäuschung: Ich hatte gehofft, den bereits von anderen Historikern gesuchten Nachlass der Gräfin Karoline »Lily« Hunyady zu finden, Hofdame und enge Vertraute von Kaiserin Elisabeth. Sie heiratete später Otto Walterskirchen; es lag also nahe, das Familienarchiv in Wolfsthal zu durchforsten. Doch leider war dort nichts zu finden. Da Karoline und Otto kinderlos geblieben waren, gibt es auch keine Nachkommen, die einen Nachlass übernehmen hätten können. So bleibt zu vermuten, dass ihr Nachlass entweder zu dem Teil des Familienarchivs gehörte, der im Zuge der Kämpfe und Plünderungen im Zweiten Weltkrieg in Wolfsthal vernichtet wurde. Es ist auch denkbar, dass die Haushälterin des Paares, die nach dessen Tod mit der Auflösung des Haushalts betraut war, den papierenen Nachlass aus Unkenntnis einfach weggeworfen hat.

Entschädigt wurde ich bald danach, als ich von Prinz und Landgraf Johannes zu Fürstenberg die Erlaubnis erhielt, im Familienarchiv des Schlosses in Weitra zu forschen. Ich fand ein perfekt geordnetes Archiv vor und einen wahren Schatz: vier Kartons randvoll mit Briefen der Landgräfin Therese Fürstenberg, die zuerst Hofdame von Erzherzogin Sophie und dann von Kaiserin Elisabeth war. Diese Briefe wurden bisher nicht beachtet oder veröffentlicht. Brigitte Hamann sah sie für ihre Elisabeth-Biografie nur kurz ein und verwendete nur einige wenige Notizen aus einem im Nachhinein von der Landgräfin verfassten Notizbuch. Therese Fürstenberg schildert in diesen Briefen, die vorwiegend an ihre Schwestern gerichtet sind, sehr scharfsinnig und offen das Leben am Hof und speziell jenes der Kaiserfamilie, das Verhältnis ihrer Mitglieder untereinander und die Auswirkungen wichtiger weltgeschichtlicher Ereignisse auf die Familie. So etwa beschreibt sie berührend die Reaktion Erzherzogin Sophies auf die Nachricht vom Tod ihres Sohnes Kaiser Maximilian in Mexiko.

Weiters befindet sich in Weitra der umfangreiche Briefwechsel zwischen Thereses Großmutter, Landgräfin Maria Theresia zu Fürstenberg, und ihrem Mann, die beide hohe Ämter bei Hof bekleideten und sehr einflussreich waren.

Ein weiterer Schatz, den ich heben konnte, sind die Erinnerungen der Hofdame Kaiserin Zitas, Gräfin Agnes Schönborns. In ihrem hochspannenden Bericht erzählt sie von der Flucht in die Schweiz, den Restaurationsversuchen Kaiser Karls in Ungarn und der Reise ins Exil, von der Angst des Paares um seine Kinder, seinen Mut und unerschütterlichen Glauben.

Angesichts der Breite des Themas und der Fülle des Materials war es notwendig, eine strenge Auswahl und eine rigorose zeitliche Eingrenzung vorzunehmen. Ich beschränke mich daher vor allem auf die Regierungszeiten Kaiser Franz’ II., Franz Ferdinands, Franz Josephs I. sowie Karls, also etwa auf die Zeit von Mitte des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Da im Vordergrund die Originalzitate und Quellen stehen, musste ich mich auch hier beschränken und konnte zu jeweils einem Thema immer nur eine Auswahl bringen. Der Vorteil dieser dadurch recht subjektiven Betrachtungsweise ist jedoch, dass so im Stile der »oral history« für den Leser die damalige Lebenswelt viel anschaulicher, lebendiger und plastischer wird als durch eine traditionelle Überblicksgeschichte, die nichts auslassen möchte.

Wichtig war mir auch, den weiblichen Blick auf das Geschehen in den Mittelpunkt zu rücken, dem sonst in dieser Zeit kaum Beachtung geschenkt wird. Durch die zentrale Position der Erzählerinnen ist ihre Darstellung aber viel mehr als bloß eine zufällige Anekdotensammlung und bildet das tatsächliche Geschehen recht gut ab. Ihre Berichte zeigen, dass Frauen damals in einer scheinbar reinen Männerwelt viel einflussreicher waren als man vermuten möchte – selbst wenn sie im Hintergrund wirkten!

Bei dem enormen Interesse an den Habsburgern und speziell an Kaiserin Elisabeth hat es mich erstaunt, wie viel hochinteressantes Material ich entdecken konnte und wie viel davon noch der Veröffentlichung harrt. Vielleicht in einem nächsten Buch…

I.

Hofdamen

INTIME BEOBACHTERINNEN

Beim Begriff »Hofdame« denkt man zuerst an eine Person, deren alleinige Aufgabe es ist, Damen aus der Herrscherfamilie zu unterhalten, zu begleiten und bei Festen schön gekleidet zu repräsentieren. Somit wäre eine Hofdame nichts anderes als Aufputz, Gesellschafterin und Anstandsdame. Bei genauer Betrachtung trifft nichts dergleichen auf die Hofdamen der Habsburger zu, oder nur an der Oberfläche. Sehr wohl begleiteten die Hofdamen der Kaiserinnen diese auf ihren Reisen, lasen ihnen vor und leisteten ihnen Gesellschaft. Aber je nach Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit war die Bedeutung der Hofdamen ungleich größer und einige von ihnen machten erstaunliche Karrieren und brachten es zu enormem Einfluss.

Im Unterschied zur »Palastdame« – ein Ehrenamt mit einer rein zeremoniellen Funktion – war »Hofdame« ein richtiger Beruf. Erforderlich dafür waren mehrere Befähigungen und diese Stellung wurde auch bezahlt, inklusive einer Abfertigung und Rente nach dem Ausscheiden. Voraussetzungen waren eine tadellose Herkunft und Erziehung, weshalb die Hofdamen ausschließlich aus alten adeligen Familien stammten. Wie für andere Hofämter auch mussten sie eine sogenannte »Ahnenprobe« bestehen, also acht adelige Vorfahren väterlicher- sowie mütterlicherseits vorweisen können. Dafür gab es eigene »Ahnenproben-Examinatoren«, die dem Oberstkämmerer unterstanden. Die Ahnenprobe war Voraussetzung für die sogenannte »Hoffähigkeit«, damit man für den Verkehr bei Hofe überhaupt zugelassen war.

Weiters mussten Hofdamen unverheiratet sein, nur in Ausnahmefällen – etwa die Erzieherinnen der habsburgischen Kinder, die streng genommen ja keine Hofdamen waren – durften sie auch verheiratet oder verwitwet sein. Somit war der Hof auch eine Art Heiratsmarkt, denn bei der Menge an jungen unverheirateten Hofdamen auf der einen Seite und an Kämmerern, Offizieren und was sonst noch an jungen Männern bei Hofe ein und aus ging, musste es ja immer wieder »funken«. Mit der Heirat schieden die Hofdamen aus dem Hofdienst aus. Bei Kaiserin Elisabeth kam zu diesen Auswahlkriterien noch hinzu, dass die Hofdamen besonders hübsch, womöglich ungarischer Abstammung und gesundheitlich fit sein mussten, um die Kaiserin auf ihren berühmt-berüchtigten Wanderungen begleiten zu können. Sie wurden vor Dienstantritt sogar ärztlich untersucht, um ihre Fitness zu bestätigen.

Es gab auch immer wieder Fälle, in denen sich ein Mitglied des Erzhauses in eine junge Hofdame verliebte und sie entweder offiziell heiraten wollte oder in geheimer Liebschaft mit ihr verbunden war. Eines der prominentesten Beispiele dafür sind Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und Gräfin Sophie Chotek, Hofdame von Erzherzogin Isabella. Er verzichtete für diese Liebesheirat sogar auf die Thronfolgerechte für seine Kinder aus dieser nicht standesgemäßen, also morganatischen Ehe.

Wie dieses Beispiel zeigt, bestanden zwischen den Mitgliedern des Kaiserhauses und den Hofdamen keinesfalls jene Schranken wie gegenüber der Dienerschaft. Im Gegenteil, die Hofdamen wurden oft – formell durch Heirat oder informell durch persönliche Nähe – selbst Teil der kaiserlichen Familie. Sie blickten einerseits distanziert auf das Geschehen bei Hof, weil sie ja erst im Erwachsenenalter dazustießen, andererseits erlebten sie es aus nächster Nähe, weil sie dieses Leben ja teilten. Somit sind sie die idealen Berichterstatterinnen über das Privatleben der Habsburger.

Dem steht jedoch oft ihre ausgesprochene Diskretion entgegen, wie in ihren Briefen deutlich wird. Selten werden die allerhöchsten Herrschaften beim Namen genannt, meist bleibt es bei Andeutungen oder Abkürzungen und allzu Privates wird häufig gänzlich ausgespart. Denn Diskretion gehörte zu den wichtigsten Eigenschaften einer Hofdame, schließlich war sie ja Trägerin von Staatsgeheimnissen. Privates und Politik waren im Kaiserhaus eng verflochten. Denken wir nur an den Tod des Kronprinzen Rudolf, dessen wahre Umstände so lange wie möglich geheim gehalten wurden – was seine Geliebte Mary Vetsera betraf, sogar bis weit über das Ende der Monarchie hinaus! Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird diese Diskretion, vor allem in der Umgebung Kaiserin Elisabeths, zunehmend fallen gelassen und immer kritischer und offener beurteilt. Ob dies an der Person der Kaiserin liegt, die ja selbst recht direkt war, oder an den veränderten Zeitumständen, ist schwer zu beurteilen. Besonders direkt und offen sind die Hofdamen in ihren Tagebüchern, so sie welche geführt haben, denn diese waren ja an keinen Adressaten gerichtet und die Diskretion blieb somit gewahrt.

Zur Hofdame ernannt zu werden, bedeutete für die Betreffende und ihre Familie eine große Auszeichnung. Daher entbrannte oft ein regelrechter Wettkampf der ehrgeizigen Angehörigen darum, einer jungen Frau einen der begehrten Hofdamen-Posten zu sichern. Einblick geben etwa die Briefe von Baronin Sophie Scharnhorst an ihre Freundin Gräfin Evelina Antonia von Sickingen, die in Ischl lebte. Gräfin Sickingen führte ein großzügiges Haus, pflegte im Sommer engen Kontakt mit Erzherzogin Sophie und war allseits beliebt.

Scharnhorst1 war Hofdame der Prinzessin Amalie von Schweden, die mit dem Kaiserhaus vielfach verwandt war, in Hacking bei Wien lebte und bei der die Kaiserfamilie ein und aus ging. Sie war für viele eine enge, weil verschwiegene Vertraute und war zu vielen offiziellen und familiären Anlässen eingeladen. Dadurch bekam auch ihre Hofdame einen tiefen Einblick in das Hof- und Familienleben:

»Wien, 5. Januar 1858. Seitdem die Erzherzogin (Sophie, Anm.) Dir geschrieben hat, ist die Wahl (der neuen Hofdame, Anm.) kein Geheimnis mehr. Et je vous répond, qu’on en parle! Gestern machte ich einige Visiten nach meiner langen Einsperrung und wurde allenthalben damit empfangen. Die guten desappointierten (enttäuschten, Anm.) Mütter sind etwas verschnupft. Et pourquoi? Als ob Karoline (Gräfin Sickingen, die Tochter der Adressatin, Anm.) nicht ebensogut Anwartschaft zur Hofdame hätte wie die anderen Komtessen. Ich höre alles an, antworte sehr wenig und lasse sie schnattern, wenns sie freut. Ohne dem kommt keine Heirat und keine Hofdame zustande.«

Um das gleiche Thema dreht sich auch der nächste Brief an die Freundin:

»Wien, 17. Januar 1858. Du kannst Karolinens Zukunft mit Beruhigung entgegensehen. Wem die Erzherzogin die Hand reicht, der kann sie zuversichtlich ergreifen, denn sie leitet nur zum Guten. Ich bin nicht in Sorgen, denn bei Karolinens Tüchtigkeit, ihrem Pflichtgefühl und ihren Talenten wird sie ihren ehrenvollen Beruf sicher ganz erfüllen. Im Anfang gibt es Schwierigkeiten. Dem kann sie vorarbeiten, um sich leichter hineinzufügen. So möchte ich ihr z. B. raten, sich im Vorlesen zu üben und ihre Stimme zu kräftigen, welche sonst anfänglich durch Befangenheit leicht unsicher wird. Ich spreche aus Erfahrung.«

Und einige Wochen später berichtet sie:

»Die Gnade Gottes waltet über Dir. Die Ernennung Koras (Gräfin Karoline Sickingen, Anm.) zur Hofdame der Erzherzogin Sophie hat ein mächtiges Echo auf allen Seiten hervorgerufen. Viele möchten die schöne Alpenrose sehen und pflücken, die nun in den kaiserlichen Garten verpflanzt werden soll.«

DIE OBERSTHOFMEISTERIN – DIE HERRSCHERIN IM HINTERGRUND

Die Hofdamen nahmen nicht nur im Hinblick auf das Privatleben der Kaiserfamilie eine wichtige Stellung ein, da sie meist die engsten Vertrauten ihrer Herrinnen oder Schutzbefohlenen waren und ihnen somit näher standen als deren Familienangehörige. Sie spielten im Hintergrund auch eine wichtige politische Rolle: Sie brachten die ihrer Ansicht nach richtigen Männer aus Politik und Militär zusammen, knüpften geheime Beziehungen, gaben Beurteilungen über politische Ereignisse und wichtige Mitglieder der Politik ab und sogar der Kaiser fragte manch eine gerne um ihren Rat und ihre Einschätzung. Besonders hohe Bedeutung und Ansehen besaß die Stellung einer Obersthofmeisterin. Das Damen Conversations Lexikon von 1834 definiert diese Rolle so:

»Die Obersthofmeisterin ist die vornehmste Charge unter dem weiblichen Hofstaate einer Fürstin, mit dem Titel Excellenz. Sie führt die Oberaufsicht über das gesammte weibliche Dienstpersonale, sowohl in disciplinarischer als moralischer Hinsicht, ist das Organ der Befehle vom Hofmarschallamte und wacht über die Aufrechterhaltung der Etiquette. Der Fürstin, welcher sie dient, zunächst stehend, übt sie selbst auf diese, vermöge ihres Amtes, einen nicht unbedeutenden Einfluß, und die spanische Hofgeschichte zeigt oft genug, wie die Obersthofmeisterin, bei der Ausübung der strengen Formen ihres Amtes, den Königinnen dieses Landes eine sehr unbequeme Dienerin wurde.«2

Ein Beispiel für eine außerordentlich gewichtige Obersthofmeisterin mit einer bedeutenden politischen Rolle bei Hof ist Landgräfin Maria Theresia zu Fürstenberg3, die als Obersthofmeisterin von Kaiserin Maria Anna, Gemahlin Kaiser Ferdinands I., viele Fäden zog.

Eigentlich hatte ihr Kaiser Franz bereits 1831 das Amt der Obersthofmeisterin der zukünftigen Kaiserin Maria Anna übertragen. Sie, die selbst zehn Kinder geboren hatte, diente ihrer Herrin dreißig Jahre lang. Als sie ihr Amt antrat, war ihr jüngstes Kind gerade erst zehn Jahre alt. So wuchsen ihre Kinder im fernen Weitra auf und sahen ihre Mutter nur in deren Urlaub. Ihr Mann Friedrich war einerseits traurig über die Trennung, unter der auch seine Frau litt, denn die beiden hatten eine Liebesehe geschlossen, was damals keine Selbstverständlichkeit war. Zum anderen aber unterstützte er aus einem ganz pragmatischen Grund die »Berufstätigkeit« seiner Frau – eine in der damaligen Zeit ausgesprochen seltene, wenn heute auch gebräuchliche Konstellation: Er hatte nämlich Schulden und sie unterstützte ihn finanziell. Friedrich war ein charmanter, an den schönen Künsten interessierter und diplomatisch begabter Mensch. Nur in wirtschaftlichen Angelegenheiten erwies er sich als völlig untalentiert, was sich fatal auf die Finanzen der großen Familie auswirkte. Nach einigen fehlgeschlagenen Spekulationen und Fehlinvestitionen war er dermaßen verschuldet, dass sogar seine Apanage aus Donaueschingen, dem Stammhaus der Fürstenberg, verpfändet war und er sich in Wien nicht mehr blicken lassen konnte. »Wenn nicht Therese ihren Hofgehalt gäbe«, notierte er am 21. September 1834 in sein Tagebuch, »so weiß ich nicht, wie ich auskäme4

Die beiden führten also eine im heutigen Sinn moderne Ehe; der eheliche Briefwechsel wird in diesem Buch noch mehrmals als Quelle für das Privatleben der Herrscherfamilie Kaiser Ferdinand und Maria Anna zitiert werden. Sie war sein Halt und eine stille, aber sehr starke Persönlichkeit. Maria Theresia, die auch wesentlich mehr Geschäftssinn besaß als ihr Mann, nahm ihm unauffällig die Fäden des Wirtschaftsbetriebes aus der Hand und lenkte diesen in ruhigere Gewässer. Dafür förderte sie seine Laufbahn bei Hof kräftig, und nachdem die Schuldenfrage bald gelöst war, ging es mit Friedrichs Karriere, zuletzt war er Zeremonienmeister gewesen, bald wieder bergauf.

Er wurde Mitglied der Reichshofräthlichen Hofkommission und im Jahr 1846 schließlich Obersthofmarschall. Diese Beförderung durch den jungen Kaiser Franz Joseph dankte er ihm unter anderem durch seine großartige Leistung im Revolutionsjahr 1848, als er die Stellung in der Hofburg tapfer hielt und diese vor der Erstürmung durch die Revolutionäre bewahrte. »Der Landgraf Fritz Fürstenberg war der einzige von allen Hofchargen und Hofbeamten, der die ganze Zeit mit Lebensgefahr in der Burg blieb5

Die Enkelin Therese schildert die politisch bedeutende Rolle ihrer Großmutter während der Revolution 1848 und danach:

»Bei Großmama war’s interessant, die Burg zuerst voll Gesinde dann voll Militär bot täglich etwas Erstaunliches; das war unser Standpunkt; für die Erwachsenen war’s freilich anders! Meine Großmutter hatte durch die Verhältnisse eine Stellung wie vor und nach ihr keine Obersthofmeisterin. Sie besaß das volle Vertrauen der Kaiserin, die damals, ohne daß es den Anschein hatte, kräftig in die Ereignisse eingriff und an ihrem Netze wob. Bei der Obersthofmeisterin kamen Metternich und Kolowrat6 zu den geheimsten Besprechungen zusammen, durch ihre Hände gingen die wichtigsten Depeschen, mit Windischgrätz7, ihrem Neffen, war sie eng befreundet. Nie wollte sie Memoiren schreiben um niemand zu verletzen, und den Kaiser Ferdinand seines Nimbus’ zu berauben. Ich erinnere mich wie die Himmelpfortgasse (im Familienpalais der Fürstenberg in Wien, Anm.) Schauplatz lebhafter Konversation war, als Koszut8 uns gegenüber in der ›Ungarischen Krone‹ wohnte9

Bei den Fürstenbergs lag es in der Familientradition, hohe Ämter bei Hof zu bekleiden. Maria Theresias Schwiegervater Joachim Egon10 beispielsweise brachte es vom einfachen Kämmerer bis zum Obersthofmarschall. Und sein Sohn Friedrich Egon11, der Mann Maria Theresias, trat in dessen Fußstapfen und machte ebenfalls Karriere bei Hof. Ihre Tochter Gabrielle bekleidete ebenfalls die Stellung einer Hofdame und unterstützte gleichzeitig ihre Nichte Therese, die Enkelin Maria Theresias, bei deren Anfängen als Hofdame der Erzherzogin Sophie.

Der immense Einfluss Maria Theresia Fürstenbergs ist unter anderem dadurch zu erklären, dass Kaiser Ferdinand bekanntermaßen ein sehr schwacher Fürst war. Er litt, was heutzutage allgemein bekannt, damals jedoch streng gehütetes Staatsgeheimnis war, an Epilepsie. In einem ihrer zahlreichen Briefe an ihren Mann Friedrich erwähnte sie ein einziges Mal dieses delikate Geheimnis: »[…] der Kaiser hat heute Nacht einen Anfall gehabt um 3 Uhr, seit her schläft er, man muß nun sehen, es ist doch ein Jammer12

Ansonsten war Maria Theresia sehr diskret und verriet nur wenig über ihre Aktivitäten und das Privatleben der Kaiserfamilie, hätte ein Bekanntwerden dieser Informationen doch fatale Folgen gehabt. Im Familienkreis jedoch, wie der Bericht ihrer Enkelin zeigt, sprach sie ausführlicher über ihr Berufsleben.

EIN TEURER BERUF

Eine zentrale Rolle im Beruf der Hofdame spielte die Repräsentation. Die Sorge um eine ständige Erneuerung der Toilette nimmt in den Briefen und Notizen breiten Raum ein. Es war nicht nur anstrengend, immer nach der neuesten Mode und zu jedem Anlass passend gekleidet zu sein, es war außerdem recht kostspielig. Allein mit der Entlohnung für den Hofdienst wären die teuren Roben – etwa für den exklusiven »Ball bei Hof« – nicht zu finanzieren gewesen; so musste meist die Herkunftsfamilie einspringen und finanziell aushelfen. Es war auch üblich, dass die Herrinnen ihren Hofdamen zu besonderen Anlässen, Namenstagen oder Weihnachten, schöne Stoffe, Schmuck oder andere Accessoires schenkten und somit die Toilette mitfinanzierten. Die Repräsentationspflichten zählten daher nicht nur für die Mitglieder des Erzhauses, sondern auch für deren jeweiligen Hofstaat zu den eher unangenehmen Seiten des Hoflebens.

Baronin Scharnhorst schrieb ihrer Freundin Gräfin Sickingen, deren Tochter eben zur Hofdame erkoren worden war und dementsprechend ausgestattet werden musste:

»Ich rate dir nicht, teure Eva, das Mieder für Karoline hier machen zu lassen. Die Zivilisation ist noch nicht bis zu den dünnen biegsamen Fischbeinen der Franzosen fortgeschritten, die besonders unentbehrlich bei der komplizierten Form sind, die Du wünschst. Das meinige, das ich nach meinem Pariser Modell bei dem besten Miedermacher verfertigen ließ, hat eine einfache Form und viel weniger Fischbein. Und doch drückt es mich sehr, weil sie weder dünn noch biegsam sind. Ich schickte gestern zu dem Miederschneider, er war aber nicht zu Hause. Heute will ich es wieder versuchen, aber bestellen werde ich es nicht, weil ich die Überzeugung habe, daß es nicht zu brauchen sein wird und Du folglich ein unnützes Möbel teuer bezahlen würdest13

»HOFKRAXN« IM »KÄFIG«

Zur Hofdame ernannt zu werden, bedeutete einerseits eine große Ehre, andererseits aber auch Opfer und Verzicht. Der Hofdienst war anstrengend, Raum für Privatleben blieb kaum, auf Schritt und Tritt wurde man beobachtet, jede Äußerung bewertet. Die persönliche Einschränkung ging so weit, dass viele Hofdamen an einem chronischen Blasen- oder Nierenleiden erkrankten, weil es ihnen oft nicht möglich war, die Toilette aufzusuchen, wenn es sie dringend danach verlangte! Wie schwer es den jungen Frauen vor allem zu Beginn fiel, sich nach ihren unbeschwerten Jungmädchenjahren, die sie meist auf einem Landschloss zugebracht hatten, an die Strenge des Wiener Hofes und die neuen Anforderungen zu gewöhnen, schildert sehr drastisch Landgräfin Therese Fürstenberg. Sie war auf Vermittlung ihrer einflussreichen Großmutter im Jahr 1865 von Erzherzogin Sophie zur Hofdame berufen worden. Von ihrem Dienstantrit schrieb sie an ihre Schwestern:

»Ischl, 4. Okt 1865. Ich muß Euch gleich heute meinen Gruß senden, liebe Schwestern und Euch sagen, daß es furchtbar schwer ist von zu Haus zu scheiden und daß es hier schrecklich einsam ist. Das schwerste ist nun vorüber, denn was kann härter sein, als der Augenblick, wo man sein warmes Nest im elterlichen Heim verlasst, um draussen in der kalten Welt einer ungebannten Zukunft entgegen zu gehen. Ach Gott wozu drüber reden, nun ist geschehen, ich bin in die neue Pforte eingetreten, ein Weg ist vor mir den ich gehen muß, und da will ich in Gottes Namen trachten nach Möglichkeit gut zu thun. Euch aber, nächst den Eltern, habe ich zu danken für alle Liebe und Nachsicht; wir waren recht glücklich zusammen! […] Wir müssen allesamt den Eltern recht dankbar sein für alles was wir zu Haus genossen haben; wie selten ist das der Fall in unsern Kreisen. […] es kommt mir wie ein Traum vor und ist doch so wahr! Durch Mama wißt ihr, daß und wie wir ankamen und daß wir zwei Stunden darauf bei der Erzherzogin (Sophie, Anm.) saßen. Sie war unendlich gut, freundlich, und es ist endlich der nähere Verkehr mit ihr vielleicht nicht so imposant als man meint, aber hunderttausend Dinge, die man wissen, thun, an die man denken soll machen einem schwindlig. […] Mein erster Diensttag ist vorüber. Früh wurden wir, Fritzi, Lulu und ich zur Gratulation vorgelassen, da war die entrouve (Begegnung, Anm.) mit dem Erzherzog und dem Kaiser; da die beiden Gefährtinnen mitsammen sind, lief ich allein, recht verschämt ins Amt das der Bischof liest, verirrte mich dabei und war froh meinen Weg erfragen und beim Hinterpförtl in die Kirche schleichen zu können; […] am Willen fehlt’s nicht, aber bedeutend am Geschick! Beim Reden mit dem Kaiser, ist mein Hofgefühl und Längstvergangenes war da und mir wurde ganz warm14

Die letzte Bemerkung spielt darauf an, dass Therese als junges Mädchen den Kaiser einmal privat getroffen und sich augenblicklich ein wenig in ihn verliebt hatte, ohne dass dieser das ahnte.

»Ischl, 16. Okt. 1865. Liebe Gabi, Geselligkeit ist ein gutes Ding, aber hier ist’s mir doch zu bunt, mein Zimmer scheint ein Gasthaus für desennuyerte (Zerstreuung suchende, Anm.) Leute, und wenn einem die Zeit zu eigner Beschäftigung, ohnehin sehr kurz, auch noch verloren geht, da wünscht man seinen Nebenmenschen wo der Pfeffer wächst. […] Gestern (ihr Geburtstag, Anm.) war halt ein Tag, wie die andern; aber die guten Menschen haben ihn doch nicht vergessen u ich bin von allen Seiten beschenkt worden. D. Herrin war so gut mir einen Rosenkranz v. Marmor zu geben, der mich sehr freute u. in einer steinernen Dose lag. u die Tanten Liechtenstein, denen ich nicht genug danken kann für ihre Güte, gaben mir ein geschnitztes Weihbrunn, eine Onixbrosche u. eine Kragerlgarnitur. Dann schickte Fürstin Kinsky ein Riesenbouquet. […] Hier im Haus komme ich bisher ganz gut aus, es ist eben nicht schwer. Und ich hoffe, daß Baldine (ihre Kollegin, Anm.) und ich ein Ménage machen werden.«

Einige Wochen später klang Therese in ihrem Brief an ihre Schwester Louise15 nicht mehr so verzweifelt:

»Ich bin nun eben nicht unglücklich hier, und wäre ich allein in der Welt gestanden, so könnte ich vielleicht ›in Frieden‹ sein; aber es ist eben ein halbes Leben, und wir waren’s so gut gewohnt, der Kontrast ist zu groß, und sich des Familienlebens entwöhnen zu müssen, vielleicht für’s ganze Leben, ist eine harte Aufgabe. Gottes Wille geschehe! Übrigens klagen darf ich wirklich nicht, ich habe nun vieles besser gefunden als ich dachte, vor allem kommt mir alle Welt so freundlich entgegen, eine Erfahrung, die ich Gottlob schon öfter gemacht habe. Angefangen von der Herrin, die wirklich wohlwollend und nachsichtig ist, attention (Aufmerksamkeit, Anm.) merkt und einem gern Freude macht; man arbeitet nun einmal lieber, wenn’s nicht umsonst ist! Also die erste Scheu habe ich überwunden, und kann ohne Erröten meine Stimme ertönen lassen. Sie interessiert sich für alles, weiß das Unglaublichste, so daß man was lernen kann. Mein Tag ist ganz ausgefüllt, das Muß gibt einem den Muth der Verzweiflung. Um acht Uhr ist das Frühstück aufgebaut und wenn um 10 Uhr die Messe beginnt sind sechs Zeitungen durchgesehen. […] Daß Ischl sich nun entvölkert ist eine wahre Wohlthat, denn hier scheint es sich jeder Mensch zur Aufgabe gemacht zu haben seines Nächsten Bewegungen in und unter dem Haus und sogar die Gesichter die man dazu macht zu controliren16

Das Hofleben empfand die junge Frau, die an die Fröhlichkeit und Freizügigkeit in der Abgeschiedenheit des Familiensitzes in Weitra gewohnt war, als drückend und die Hofgesellschaft als negativ gestimmt:

»Du bist wirklich gut, meine Louise, und Ihr seid’s beide, daß Ihr meine Briefe gern liest, denn es sind langweilige Episteln voller Lamento; in diesen Ton falle ich immer wieder, trotz aller guten Vorsätze für’s Gegentheil; und ich weiß wahrhaftig kaum wie man sich seinen guten Humor erhalten kann, umgeben von lauther klagenden, lamentierenden, desparaten Menschen, denn alles was mich umgibt hoch und niedrig ist eigentlich mehr oder minder mißmuthig und unzufrieden; das ist das gepriesene, convoitirte (begehrte, Anm.) Hofleben, und da soll man sich die guten Seiten heraussuchen! Da hör ich alle Augenblick ›wie die noch gut ausschaut‹ mit Neid sagen, oder › über’s Jahr wirst du schon auch mager sein‹, und so fort, andres tröstliche. Daß die Umgebung einen großen Einfluß auf einen hat, es hängt auch ab davon, wie man’s Leben auffaßt, ist sicher. Ich weiß ja vom vorigen Jahr, wie man glücklich sein kann in der Nähe von Zufriedenheit und Glück und ich kehre jedesmal mit frischem Muth in meinen Käfig zurück, nachdem ich bei Großmama Dummheiten hören und machen konnte. Es ist wohl so, daß hier die Lebendigkeit gethötet und ich in einem Jahr auch eine Jammergestalt bin. Übrigens die wahren Klagbäume sind noch in Schönbrunn17

»Ich wollte gleich die Gelegenheit benützen und dir Mama’s Ankunft melden; mußte ihr jedoch den Rang lassen, und so bin ich recht froh, daß mir heute die Theaterstunden gehören, indem die letzte Novität so arg ist, daß die Erzherzogin ihre Hoffräuleins nicht hineinschleppen kann. Wie wäre ich gern mit Mama gewandert, wie gern hätte ich die garstige Burg verlassen, um mich ein wenig in Althart18 zu erfrischen, an Euch und an den Mädln. […] Mein Klavier macht mir viel Spaß und in den letzten Tagen war’s eine rechte Wohlthat so ein Ding zur Verfügung zu haben, die Erzherzogin war grippiert, ging nicht aus, nicht ins Theater, liess sich nicht vorlesen, das war dann nicht ganz leicht, die vielen einsamen Stunden des Tages auszufüllen19

»Ich war ja die letzte Zeit zu Hause ganz glücklich, freilich nicht auf deine, wohl aber auf meine Art; gibt’s ja so viel was mich freut und interessirt und endlich sind alle Leut so gut für mich. Vielleicht find ich noch eine Möglichkeit mich hier einzugewöhnen, bisher sah ich’s nicht recht ein. Je mehr man in das Treiben oder eigentlich regetiren (?) um einen herum Einblick gewinnt, je gründlicher schreckt man zurück; was man an Illusion, an anerzogenem ›Cultus‹ mitbrachte, schwindet einem unter der Hand. Vorurtheil, Kleinlichkeit, Egoismus, umgibt einen20

Mit den Jahren fand sich Therese immer mehr mit ihrem vorgezeichneten Schicksal ab. Heiratspläne schien sie zunehmend zu verwerfen und hatte sich offenbar fest vorgenommen, ganz und für immer auf eine eigene Familie zu verzichten. Dies war ja die Voraussetzung, um als Hofdame verbleiben zu können. Wie schwer ihr das dennoch fiel und dass es auch an möglichen Kandidaten nicht gemangelt hätte, zeigen ihre Briefe:

»Schönbrunn 10 Juni 1868. […] mit meinem Leben, wie ich’s vor mir sehe, bin ich ganz versöhnt, und auch entschlossen meinen Berufspflichten gegenüber, den inneren Wiederstand zu bekämpfen. Du mußt das nicht abgestumpft nennen, wenn man kein Glück mehr sucht, die Fakultät sich an allem Erfreulichen herzlich zu erfreuen bleibt einem ja doch unverkürzt; und es bleibt doch wohl zu erwägen, ob der Zustand nicht besser ist, als wenn ich mich fort und fort gegen eine verhasste Lebensweise debatirt u. schließlich, nur um ihr zu entgehen, den ersten besten geheirathet, oder in Ermangelung eines Gegenstandes, doch lebhaft solches gewünscht hätte. Der innere Friede ist nicht gestört; es ist blos klar geworden, was sich von Zeit zu Zeit immer wieder in mehr od. weniger bestimmten Umrissen gezeigt hat; und der Gedanke, daß auf Erden unsre Wege getrennt sein müssen, ist mir so geläufig und eigen, daß selbst das nicht so schwer zu tragen ist, als man wohl meint. Ich bin bereit Gottes Willen anzunehmen21

Therese Fürstenberg hegte bald große Bewunderung für Erzherzogin Sophie, ihre Dienstherrin. Und entwickelte gemäß den Streitigkeiten zwischen Sophie und ihrer Schwiegertochter Kaiserin Elisabeth eine Antipathie gegen Letztere. Ihre Briefe sind voll von Spitzen gegen Kaiserin Elisabeth:

»[…] Wenn übrigens Louis (ihr Bruder, Anm.) den Volksfreund (ein Theaterstück, Anm.) zu Gesichte bekommt, und drum einen fulminanten und nicht ungerechten Artikel über das Treiben in tonangebenden Kreisen, findet, wird er sich zweimal bedenken Dich in diesen Sündenpfuhl zu bringen. Ich wurde angeredet […] mitzuwirken, konnte aber, angehängt wie man ist, nicht dran denken, nun wirds so arg, daß wir Hofkraxen wieder ausgeladen wurden, weil ehrbare Kammerfräulein nicht einmal zuschauen können. Onkel Fritz ist auch acht Tage hier; ich sollte morgen, Sonntag, mit ihm und Anna Moritz bei Ernestine essen, nun muß eben kein Familiendiner sein, und ich nicht heraus können. Kann mein Futter allein im Käfig verschlingen. Die Erzherzogin hat sich bisl verkühlt, bei Promenaden in Regen und Wind. […] Die Tante (Hofdame Gabrielle, Anm.) ist glücklich wieder über der Leitha herüber zu sein, in der ganzen Gesellschaft ist nur Eine der’s so behagte, daß sie am Besten sich ganz dort etabliren möchte, natürlich! Weils unmöglich und ärgerlich ist; […] Ich habe meine Freud an dem Kronprinzen (Rudolf, Anm.), der ein herziges frisches begabtes, und dabei gutes Kind ist, Eigenschaften, die Gott erhalten und fördern möge; in der Menschen unschuldiger Jahre ist so leicht und so schnell was verdorben. Gott befohlen deine Therese!«22

Therese spielt in diesem Brief auf die bekannte Vorliebe Kaiserin Elisabeths für Ungarn an, dessen Grenze ja die Leitha bildete, und die sie für »unmöglich« hält. Als »Käfig« wurde die Hofburg nicht nur von der Landgräfin Fürstenberg bezeichnet. Auch bei anderen Hofdamen findet sich diese Bezeichnung, die sehr viel über das Lebensgefühl bei Hof aussagt. Schließlich findet sich Therese ab und nimmt ihre Stellung als Schicksal hin. An Louise schreibt sie ein Jahr später beinahe resignierend:

»Meine Anstellung ist die Brücke zu gar nichts, sondern der Stand für den mich Gott geschaffen hat, und den ich ertragen muß, und den ich mit Gleichmuth, wenn möglich mit Heiterkeit ertragen werde so lange ich lebe. Ich habe die Erzherzogin wirklich gern23

Einige Jahre später zeigte sich die Landgräfin bereits deutlich selbstbewusster und hatte bereits eine wichtige Vertrauensstellung bei Hof. Sogar vom Kaiser selbst wurde sie mit heiklen Missionen beauftragt:

»Als der Kronprinz Friedrich Wilhelm zum ersten Mal nach der Gründung des deutschen Reiches einen Besuch am Wiener Hof machte, fürchtete der Kaiser, er könnte durch Unhöflichkeiten verletzt werden. Da sagte er zu mir, ich möge doch dafür sorgen, daß ihm der Titel Kaiserliche Hoheit von niemandem versagt werde und alle Formen eingehalten würden. […] Vielleicht wollte der Kaiser eben diese Autorität durch mich geltend machen und beauftragte mich, in diesem Sinne zu wirken. Übrigens gibt es kaum etwas Undisziplinierteres wie die kaiserliche Familie, was aus vielen Beispielen bekannt ist24

Therese Fürstenberg stand Kaiserin Elisabeth recht skeptisch gegenüber – sie gehörte ja zum »Lager« Erzherzogin Sophies. Die Kaiserin wiederum trachtete, sich einen eigenen Zirkel ergebener Hofdamen heranzubilden. Wie erwähnt spielte neben der ungarischen Abstammung das Aussehen eine wichtige Rolle. Eine ihrer engsten Vertrauten war Lily Hunyady, die offenbar alle Qualitäten aufwies, die die Kaiserin so schätzte. Ihr Vater war bereits Erster Obersthofmeister der Kaiserin und besaß ebenfalls das Vertrauen seiner Herrin. Leider sind von ihr, wie erwähnt, keine Aufzeichnungen erhalten, vielleicht hat sie solche auch nie angefertigt. Jedoch war sie bis zu ihrer Verehelichung im Jahr 1871 mit dem Diplomaten Baron Otto Walterskirchen stets um ihre Herrin. Danach aber kümmerte sich Elisabeth offenbar nicht mehr um sie. Das junge Paar lebte in relativer Armut, hatte doch Otto als Nachgeborener keinen eigenen Besitz und musste von den Einkünften seines Berufes leben. Seine diplomatische Karriere verlief alles andere als steil, im Gegenteil musste er oft lange auf einen Botschafterposten warten. »Der arme Otto Walterskirchen soll wieder einen großen Verschmach haben, daß er keinen Posten beim großen Diplomaten-Leih-mir-die-Scheer bekommen hat«, bemerkte etwa Therese Fürstenberg lakonisch.25 Der Kaiserin fiel es offenbar nicht ein, sich für das Fortkommen und Auskommen ihrer ehemaligen engen Freundin einzusetzen, sie kümmerte sich nicht mehr um Lily und deren Kinder. Nur in ihrem berühmten »Schönheiten-Album« hatte Lily weiterhin ihren Platz und war, wenn auch nicht dauerhaft im Herzen ihrer Herrin, so doch als Fotografie dauerhaft in ihrer Nähe.

TREU BIS IN DEN TOD

Gänzlich anders als Therese Fürstenberg empfand Gräfin Irma Sztáray, damals knapp 30-jährig, ihre Berufung zur Hofdame Kaiserin Elisabeths.26 Sie folgte Gräfin Marie Festetics, die sich nach zwanzig Jahren Dienst den Strapazen der vielen Reisen und den hohen Anforderungen der Kaiserin nicht mehr gewachsen fühlte, und Gräfin Janka Mikes nach, die heiratete. Gräfin Mikes stellte der Kaiserin die Gräfin Sztáray vor, für deren Wahl die Vorliebe Kaiserin Elisabeht für Ungarn ausschlaggebend war. Diese fühlte sich zutiefst geehrt und war der bereits relativ alten Herrin sofort völlig ergeben, wie sie in ihren Memoiren berichtet:

»August 1894. Ein Brief aus Ischl. Noch niemals brachte mir die Post eine freudigere Botschaft. Was ich nach dem Lesen dieses Briefes empfand, kann nur der ermessen, dem es zumindest einmal gegeben ward, ein stillgehegtes heißes Verlangen urplötzlich, wie auf ein Zauberwort, erfüllt zu sehen. Immer wieder durchlas ich den Brief und ich fühlte, daß meine Sonne den Zenith erreicht hatte. Ihre Majestät die Kaiserin und Königin ließ mich zu sich berufen und gleichzeitig befragen, ob ich Kraft genug in mir fühlte, um sie auf ihren für diesen Winter geplanten weiten Reisen zu begleiten. Ach, ich fühlte in diesem Augenblicke die Kraft, mit ihr bis ans Ende der Welt zu gehen! Was ich antwortete?

Am nächsten Tage reiste ich nach Ischl. In begreiflicher Befangenheit stieg ich auf dem Ischler Perron aus, von wo mich ein Hofwagen in die kaiserliche Villa brachte. Der Hof dinierte eben. Ich begab mich daher zu Frau Ida v. Ferenczy, deren tiefnnerliches Wesen und herzlicher Empfang sehr beruhigend auf mich wirkten. Ist es denn auch zu verwundern, dachte ich bei mir, daß ich jetzt so überaus bewegt bin? Wie aus einem Traume erwachend, stehe ich da am ersehnten Ziele! Ihr werde ich dienen dürfen, die ich bisher nur aus der Ferne mit verehrenden Gedanken begleitete! Und da ich mich heute an ihre Seite stelle, fühle ich die ganze Bedeutung dieses Augenblickes; mein Herz pocht und meine Seele bebt. Ich kenne ja die Kaiserin gar nicht. Den Nachmittag verbrachte ich mit Gräfin Mikes, Hofdame Ihrer Majestät.27 Dankbar gedenke ich dessen, daß sie es war, die mir während der Spazierfahrt die ersten Weisungen für meinen künftigen Dienst erteilte. Ich erinnere mich, daß sich mir aus dieser, auch die Details erörternden gütigen Belehrung zwei charakteristische Momente sofort in die Seele prägten. Erstens, daß Ihre Majestät nur mit geraden, aufrichtigen Menschen sympathisiere und gerne auch ein unangenehmes Wort gestatte, wenn es nur wahr sei; weiters, daß sie mit Rücksicht auf ihre empfindlichen Nerven von ihrer Umgebung unbedingte Selbstbeherrschung und eine wohltuend wirkende Ruhe erwarte. Der ersten Bedingung glaubte ich leicht entsprechen zu können, hinsichtlich der zweiten aber vertraute ich auf Gott und gelobte mir die größte Selbstbeherrschung. Am nächsten Morgen empfing mich Gräfin Mikes mit dem Bedeuten, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach noch im Laufe des Vormittags vorgestellt werden würde, es sich daher empfehle, mich rechtzeitig bereit zu halten. Doch kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, kam schon der Befehl, wir sollten unverzüglich kommen, Ihre Majestät erwarte uns. So geschah es, daß ich nicht einmal mehr in meine Wohnung gehen konnte; die Gräfin half mir mit ihrer Toilette aus und ich trat in fremden Kleidern zum ersten Male vor die Kaiserin.

Der große Augenblick war nun da. Pochenden Herzens stand ich mit meiner Gefährtin an der Ecke der Villa und gleich darauf erblickte ich Ihre Majestät; sie promenierte. Unter ihrem großen weißen Schirme ergoß sich das Licht auf das aufgelöst herabwallende Haar, das wie eine schimmernde Hülle ihre königliche Gestalt umfloß. Jetzt wandte sie sich, wir näherten uns und ich wurde vorgestellt. Sie hatte etwas in ihrem Wesen, das faszinierte. Während ihr leuchtendes trauriges Auge zum ersten Male auf mir ruhte, stand ich wie im Banne eines überirdischen Wesens und meine Seele empfand gleichsam schmerzlich ihre Minderwertigkeit und Alltäglichkeit. Ob sie es wahrnahm, weiß ich nicht, doch kam sie mir selbst zu Hilfe mit ihrem holdseligen Lächeln, das bezauberte und – befreite. Es war eine einzig unvergeßliche Audienz.

Durch Fragen, die sie an mich richtete, und durch Antworten auf meine Fragen suchte mich die hohe Frau in entzückend freundlicher Unmittelbarkeit kennen zu lernen. Meine Befangenheit schwand wie Nebeldünste im Sonnenschein. Ich fühlte die Nähe einer großen und guten Seele, die mich ermutigte, ja erhob. Ich empfand, daß ich die Höhe ihres Fluges niemals erreichen würde, und doch fühlte ich mich durch ihre Güte wie mit emporgehoben. Ich fühlte ihre sieghafte Macht, und schon hier, bei der ersten Begegnung, gab ich ihr meine ganze Seele zu eigen, kraft jener unwiderstehlichen Anziehungskraft der Seelen, die nach höheren Regionen streben. Beim Abschied küßte mich die Kaiserin. Wie glücklich war ich!

Wenn sich in diesem Augenblicke der Schleier des Schicksals gehoben und ich die letzte Station dieses Kalvarienberges erblickt hätte! – Aber auch dann wäre ich mit ihr gegangen. Noch lange sah ich der herrlichen Gestalt nach, die sich entfernte, dann ging auch ich. Und in dieser glücklichen Stunde wurde mein Schicksal besiegelt – mit schwarzem Siegel besiegelt28

Diese Memoiren, im Rückblick nach der Ermordung Kaiserin Elisabeths veröffentlicht, idealisieren und verklären das Bild ihrer Herrin, ganz im Gegensatz zu den oft recht kritischen Anmerkungen von Marie Festetics. Die Schilderungen zeigen jedoch, dass Elisabeth mit ihrer Menschenkenntnis genau das Wesen gewählt hatte, das sie brauchte: eine vollkommen ergebene Vertraute und Bewunderin. An dieser Ergebenheit änderte sich auch auf den vielen strapaziösen Reisen nichts, auf denen sie die Kaiserin begleiten musste und die in einem separaten Kapitel noch näher beschrieben werden.

Die Hofdamen entwickelten im Lauf der Zeit generell eine enge Beziehung zu ihren Herrinnen, selbst wenn sie nicht gleich von Beginn an eine Zuneigung verspürt hatten. So erging es Therese Fürstenberg, die, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits Kaiserin Elisabeth zugeteilt war, dennoch um Erzherzogin Sophie bangte, als diese im Frühjahr 1872 schwer erkrankte: