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Für
Ermelinda Xavier Daniel Dias Maulide (1944–2018)
und
Wilhelm Traxler (1943–2019)

Nuno Maulide · Tanja Traxler

DIE CHEMIE STIMMT!

Eine Reise durch die Welt der Moleküle

Mit Illustrationen
von Kathrin Gusenbauer

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

www.residenzverlag.com

© 2020 Residenz Verlag GmbH

Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

Covergestaltung: BoutiqueBrutal.com

eISBN 978-3-7017-4636-1

INHALT

EINLEITUNG

image KAPITEL 1 image

CHEMIKALIEN
IM ESSEN

Wir fürchten uns vor dem Falschen

Der chemische Aufbau der Welt

Tausende Chemikalien im Essen

Toxische Substanzen

Sinnestäuschungen aus dem Labor

image KAPITEL 2 image

DER KÖRPER ALS
CHEMIEBAUKASTEN

Sauerstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff – Das bist du

Mit Händewaschen Leben retten

Gefährliche Fingernägel

image KAPITEL 3 image

WIE MOLEKÜLE
MEDIZINISCH
WIRKEN

Ein folgenreicher Zufallsfund: Penicillin und seine antibiotischen Verwandten

Cocktail gegen Malaria

Superstars aus der Rinde

Inspiriert von der Natur

Multiresistente Gefahr

Kampf gegen Chaos

image KAPITEL 4 image

DIE ERNÄHRUNG
DER WELT

Willst du gelten, mach dich selten

Zu viel des Guten

Wachstumsschub für Wälder

image KAPITEL 5 image

UND PLÖTZLICH GAB ES PLASTIK

Eine alte Dame am Spinnrad

Plastik lügt nicht

Kehrseite der Langlebigkeit

image KAPITEL 6 image

DIE GASHEIZUNG DER ERDE

Gasförmiges Thermostat

Planet im Schwitzkasten

Fridays for Future

image KAPITEL 7 image

CHEMIE FÜR DIE
KLIMAWENDE

Künstliche Blätter

Energie aus Wasserspaltung

Spinnrad im Rückwärtsgang

Ein Knöllchenbakterium müsste man sein

Suche nach dem Game Changer

image KAPITEL 8 image

SCHÖNHEIT IN
DER CHEMIE

Wirtschaften mit Molekülen

Von eleganten und weniger eleganten Reaktionen

Angst vor Abstraktion

Dank

Literatur

Endnoten

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Chemie hat in der Bevölkerung nicht den besten Ruf. Umweltverpestende Unfälle in Chemiefabriken, Treibhausgase in der Atmosphäre oder krebserregende Chemikalien im Essen haben das Image des Forschungsfelds nachhaltig beschädigt. Das einseitige Bild ist bedauerlich, werden doch oft die positiven Beiträge der Chemie für unser Leben vergessen: Sie ermöglicht die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung durch die Entwicklung künstlicher Düngemittel und die Herstellung von Medikamenten, Kunststoffen oder Hygieneprodukten, um nur einige Beispiele zu nennen. Zudem leistet die Chemie wertvolle Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Zukunftsfragen – im Großen wie im Kleinen. In diesem Buch wollen wir Sie dazu verführen, die Welt mit den Augen eines Chemikers oder einer Chemikerin zu betrachten. Das eröffnet einen neuen, faszinierenden Blick auf uns selbst und das, was uns umgibt.

Von einem besseren Image der Chemie würden nicht nur die Chemiker profitieren, sondern die Gesellschaft im Allgemeinen. Denn chemisches Un- oder Halbwissen führt bisweilen zu Entscheidungen, die für den Einzelnen oder gar uns alle nachteilig sind. Mehr dazu wollen wir Ihnen im Laufe dieses Buches näherbringen.

Wir, das sind Nuno Maulide, Professor für Organische Synthese an der Universität Wien, und Tanja Traxler, studierte Physikerin und Wissenschaftsredakteurin bei der Tageszeitung DER STANDARD. Wir haben einander 2014 kennengelernt, kurz nachdem Nuno den Lehrstuhl in Wien angetreten hat. Uns beiden liegt es am Herzen, mehr Menschen für die Naturwissenschaften zu begeistern, und hier geht es uns im Speziellen um die Chemie.

Wir haben dieses Buch gemeinsam geschrieben, an einigen Stellen tritt aber ein Ich-Erzähler in Erscheinung. Hie und da macht es die zum Teil doch sehr abstrakte Wissenschaft greifbarer, wenn man sie mit seiner persönlichen Geschichte verbindet. Ich, Nuno Maulide, wurde 1979 in Lissabon geboren. Als junger Mann war meine große Leidenschaft die Musik. Ich habe Klavier an der Musikhochschule in Lissabon studiert. In dieser Zeit habe ich erkannt, wie hart eine Karriere als Konzertpianist und wie einsam der Alltag von Profimusikern ist. Durch meine ausgeprägte soziale Ader hat mir beim stundenlangen Üben am Klavier der Kontakt mit Menschen gefehlt. So beschloss ich, einen anderen Weg einzuschlagen. Eher aus Ratlosigkeit denn von langer Hand geplant, entschied ich mich für die Chemie.

So richtig Feuer und Flamme fing ich für das Fach in meinem zweiten Semester in der Vorlesung zur Organischen Chemie. Diese beschäftigt sich mit Verbindungen, die auf Kohlenstoff basieren, und widmet sich damit den fundamentalen Bausteinen des Lebens. Als der Professor angefangen hat, verschiedene Strukturformeln auf die Tafel zu zeichnen, die Ihnen auch beim Lesen dieses Buches ab und zu begegnen werden, dachte ich mir: Das ist so schön, damit könnte ich mein Leben verbringen! Mich fasziniert bis heute, wie viele verschiedenartige chemische Verbindungen die Natur hervorgebracht hat und für welche unterschiedlichen Aufgaben sie einsetzbar sind.

Die chemischen Strukturen und ihre Funktionen sind wie eine Sucht für mich geworden. Ich konnte schon als junger Student ganze Abende damit verbringen, mich in die Welt der organischen Verbindungen zu vertiefen. Gleichzeitig war es mir auch immer ein großes Bedürfnis, mein Wissen mit anderen zu teilen. Es gibt kaum etwas Befriedigenderes für mich, als meinen Studierenden einen komplexen Zusammenhang verständlich machen zu können. Oder, wenn mir Menschen nach Vorträgen oder Fernsehauftritten schreiben, wie sehr sie sich freuen, etwas mehr von der Chemie verstanden zu haben.

Genau darin lag auch die Motivation für mich, dieses Buch zu schreiben, das sich vor allem an Menschen richtet, die sich noch wenig mit Chemie befasst haben und vielleicht noch gar nicht wissen, was sie ihnen zu bieten hat. Ich will meinen kleinen Beitrag dazu leisten, dass weniger Menschen die Nase rümpfen, wenn von Chemie die Rede ist, denn ich bin fest davon überzeugt, dass unser aller Leben von einem besseren Ruf des Fachs profitieren würde.

Das hat nichts mit einer blinden Wissenschaftsgläubigkeit zu tun, die alles, was aus einem Labor stammt, als höherwertig einstuft als naturbelassene Produkte. Im Gegenteil geht es mir darum, ein grundlegendes Verständnis für die Chemie zu vermitteln, damit man sachlich selbst besser abwägen kann, in welchen Bereichen mehr Chemie Sinn macht und in welchen nicht. Eine chemische Verbindung, die zu Recht aus Spraydosen verbannt worden ist, sind Chlorfluorkohlenwasserstoffe, besser bekannt als Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) – mehr dazu später.

Mehr Chemie ist nicht immer die beste Lösung, aber es gibt auch sehr viele Beispiele, wo mehr Chemie unserer Gesundheit und dem Planeten Gutes tun würde. Neben praktischen Alltagstipps werden wir in diesem Buch auch einige futuristische, chemiebasierte Lösungsansätze, um der Klimakrise zu begegnen, diskutieren. Denn was den Klimawandel angeht, gibt uns gerade die Chemie entscheidende Möglichkeiten in die Hand, ein nachhaltigeres Leben zu führen.

Neben der Forschung begleitet mich auch die Musik bis heute, ich spiele beinahe täglich Klavier. In der Wissenschaft wie in der Kunst treibt mich die Suche nach Schönheit an – nicht nur, wie nützlich, sondern auch wie bezaubernd die Chemie sein kann, werden Sie hoffentlich beim Lesen dieses Buchs selbst entdecken können.

Wir beginnen unsere Reise durch die Welt der Moleküle bei uns selbst – bei dem, was wir zu uns nehmen, woraus unser Körper besteht und wie die Gesundheit unterstützt werden kann. Im nächsten Schritt beschäftigen wir uns mit der Herstellung von Nahrungsmitteln und dem universellen Material für Verpackungen und vielem mehr. Schließlich wenden wir uns dem besonders drängenden Problem des Klimawandels zu, und der Frage, wie wir angemessen auf die globalen Veränderungen reagieren können.

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Was hatten Sie heute zum Frühstück? Wenn es bei mir schnell gehen muss – und das ist morgens keine Seltenheit –, beschränke ich mich auf einen recht einfachen kulinarischen Start in den Tag: Er besteht hauptsächlich aus Wasser, Zucker, ein klein wenig Eiweiß und Fett, dazu verschiedene Ester, Aldehyde und Alkohole. Außerdem gibt es Riboflavin, Ascorbinsäure, Kalzium, Magnesium, Phosphor und Chlor. Anders gesagt: Ich esse einen Apfel.

Auf dem Weg zur Uni begegnen mir meist viele Menschen, die zur Arbeit eilen – oft mit einem Becher in der Hand. Um in die Gänge zu kommen, schlürfen sie heißes Wasser, in dem an die tausend verschiedenen Inhaltsstoffe herumschwimmen. Die für sie zweifellos wichtigste Zutat in diesem chemischen Cocktail ist ein Alkaloid aus der Stoffgruppe der Xanthine: Koffein. Während mein Gegenüber in der Straßenbahn genüsslich am Kaffee nippt, denke ich oft darüber nach, wie grundlegend die Chemie doch selbst in die einfachsten Bedürfnisse und Routinen unseres Lebens hineinspielt. Unsere physische Existenz basiert auf chemischen Prozessen, deren Komplexität und Genialität mich auch nach vielen Jahren in der Wissenschaft immer wieder aufs Neue zutiefst beeindrucken.

Die unglaubliche Vielzahl an chemischen Stoffen und Verbindungen, die uns und unseren gesamten Planeten ausmachen, können einen natürlich auch leicht überwältigen. Wie soll man angesichts von so viel Chemie noch den Überblick behalten, was unserer Gesundheit und unserer Umwelt guttut und was schädlich ist? Das gilt vor allem, wenn es um unser Essen geht – die Furcht vor schädlichen Inhaltsstoffen ist vermutlich so alt wie der Mensch selbst. Diese evolutionär begründete Angst kann nützlich und überlebenswichtig sein, leistet aber bis heute vielen Irrtümern und Mythen Vorschub.

Die Vorstellung, dass Chemikalien im Essen per se unnatürlich und zwangsläufig ungesund sind, ist erstaunlich weit verbreitet. Für eine Chemikerin oder einen Chemiker stellt sich die Sache grundlegend anders dar: Chemikalien in Nahrungsmitteln zu verteufeln, ist allein schon deswegen unsinnig, weil die Nahrungsmittel – so wie alles andere um uns herum – selbst aus chemischen Verbindungen bestehen. Der erwähnte Frühstücksapfel lässt sich von der Schale bis zum Kern in chemische Bestandteile zerlegen. Würde ich all diese Bestandteile im Labor künstlich erzeugen und in der gleichen Menge zu mir nehmen, in der sie in einer Frucht vorkommen, wäre das Ergebnis für meinen Körper exakt dasselbe. Anders gesagt: Wir konsumieren überhaupt nichts anderes als Chemikalien.

Das soll natürlich nicht heißen, dass jede chemische Verbindung gesund für uns ist. Die Europäische Union listet rund 8000 Substanzen, die Lebensmittel potenziell gefährlich machen. Dazu zählen Schädlingsbekämpfungsmittel ebenso wie manche Farb- und Aromastoffe, Tiermedikamente oder Plastik. Für die allermeisten Inhaltsstoffe unserer Nahrungsmittel gilt allerdings das, was der Schweizer Arzt Theophrastus Bombast von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, im 16. Jahrhundert so treffend auf den Punkt gebracht hat: »Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht’s, dass ein Ding kein Gift sei.«

Eindrücklich lässt sich Paracelsus’ Erkenntnis an für uns lebenswichtigen Substanzen nachvollziehen. Denken wir zum Beispiel an Wasser: Obwohl der Mensch zu fast zwei Dritteln daraus besteht und wir unserem Körper täglich Wasser zuführen müssen, können wir in kurzer Zeit nur eine bestimmte Menge davon trinken. Wenn man auf einen Sitz mehr als fünf Liter Wasser trinkt, leiden darunter die Organe, vor allem die Nieren, was im Extremfall zum Tod führt. Bei Salz reichen für einen erwachsenen Menschen schon zehn Esslöffel, um einen lebenswichtigen Mineralstoff zur tödlichen Gefahr zu machen. Zum Glück würde das so ekelhaft schmecken, dass die Vergiftungsgefahr mit Salz extrem gering ist.

Alle Bestandteile unserer Nahrung sind also Chemikalien, und die Dosis macht das Gift. Das Wissen um die chemische Beschaffenheit von Nahrungsmitteln versetzt uns daher in die Lage, Qualität und Sicherheit ihrer Inhaltsstoffe wissenschaftlich beurteilen zu können. Dabei können wir auch unerwünschte Stoffe in Lebensmitteln identifizieren und deren Konsum vermeiden.

Ein Blick in die Bestsellerregale jeder Buchhandlung zeigt, dass viele Menschen großes Interesse daran haben, das Patentrezept für eine gesunde Ernährung zu finden: Diätratgeber und Ernährungsliteratur boomen. Wissenschaftlich gesehen, muss aber festgehalten werden, dass es so ein Patentrezept, das für jeden Menschen gleichermaßen empfehlenswert ist, nicht gibt. Wie gesund eine bestimmte Art der Ernährung ist, hängt ganz wesentlich von unserem individuellen Stoffwechsel ab. Es wäre daher unseriös, eine goldene Ernährungsregel zu präsentieren, die für jeden die optimale Diät für ein langes, gesundes Leben darstellt. Was wir aber tun können, ist, uns ein wissenschaftlich fundiertes Bild von Lebensmitteln und ihren Inhaltsstoffen und Funktionsweisen zu machen. Das kann uns dabei unterstützen, die für uns jeweils passende Ernährung zu finden.

WIR FÜRCHTEN UNS VOR DEM FALSCHEN

Beginnen wir mit der weitverbreiteten Furcht vor Chemikalien im Essen. »Das ist ja reine Chemie!«, denken viele Menschen, wenn sie die Inhaltsangaben diverser Lebensmittel lesen. Das stimmt natürlich – trifft aber auf die Himbeeren aus Omas Garten genauso zu wie auf die Tiefkühlpizza aus dem Supermarkt. Dass Tiefkühlpizza aber definitiv ungesünder ist als Himbeeren, liegt nicht daran, dass in der Pizza künstlich erzeugte Chemikalien zu finden sind und im Obst rein natürlich entstandene. Es liegt nur an der Menge und Art der jeweiligen Inhaltsstoffe. Daher ist es wichtig, zu unterscheiden, was in welcher Menge schädlich ist oder die Qualität eines Produkts beeinflussen kann.

Es ist das eine, auf akute Gefahren wie Vergiftungen rasch zu reagieren. Etwas gänzlich anderes und mit Blick auf die Ernährung häufig Relevanteres ist es aber, langfristige Risiken angemessen einzuschätzen. Wenn es um mögliche Gefahren geht, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Jahren oder Jahrzehnten eintreten könnten, neigen wir bisweilen dazu, uns vor dem Falschen zu fürchten. Der Risikoforscher Ortwin Renn hat dafür den Begriff »Risikoparadox« geprägt.1

Eine unserer irrationalen Ängste betrifft beispielsweise, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Obwohl die Wahrscheinlichkeit dafür für Menschen, die in westlichen Industrienationen leben, äußerst gering ist, treibt uns die Angst davor mitunter zu Entscheidungen, die wirklich mit erhöhten Risiken verbunden sind. Eine Studie, die in diesem Kontext gerne angeführt wird, betrifft die Terroranschläge in New York vom 11. September 2001. Aus Angst vor einer Flugzeugentführung sind in den darauffolgenden Monaten viele US-Passagiere mit dem Auto statt mit dem Flugzeug gereist. Die Folge war ein signifikanter Anstieg des Autoverkehrs – und auch der tödlichen Unfälle auf US-Straßen. Insgesamt gab es in den drei Monaten nach den Anschlägen mehr Unfalltote, bedingt durch Autofahrer, die das Flugrisiko vermeiden wollten, als Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001.2

Was die Ernährung angeht, ist unsere Furcht vor dem Falschen besonders ausgeprägt. Viele Menschen betrachten beispielsweise argwöhnisch künstlich erzeugte Aromastoffe, die auf der Rückseite von Lebensmittelverpackungen angeführt sind, und versuchen, diese tunlichst zu vermeiden – auch wenn sie keine nachweislichen Gesundheitsrisiken darstellen. Andererseits scheuen sie nicht davor zurück, Substanzen, die bekanntermaßen schädlich sein können, wie Alkohol, Transfette oder Zucker, üppig zu konsumieren.

Um zu ergründen, mit welchen Chemikalien wir es bei unserem Essen zu tun haben, bedarf es zunächst einer kleinen Einführung in die Welt der chemischen Bausteine. Los geht’s!

DER CHEMISCHE AUFBAU DER WELT

Wenn man die Welt durch die Brille der Chemie betrachtet, wird sichtbar, dass im Grunde alles um uns aus denselben Bausteinen besteht – den Atomen. Die Idee, dass alles aus Atomen gemacht ist, geht bis in die Antike zurück. Doch noch Anfang des 20. Jahrhunderts stritten sich Wissenschaftler darüber, ob Atome tatsächlich existieren.

Legendär sind beispielsweise die Auseinandersetzungen zwischen dem österreichischen Physiker Ludwig Boltzmann, der ein vehementer Fürsprecher des Atomismus war, und seinem Vorgänger am Wiener Lehrstuhl für Naturphilosophie, Ernst Mach. Mach pflegte Boltzmanns Überzeugung, dass Atome existieren, süffisant mit der Bemerkung »Ham’s ans g’sehen?« in breitem Wienerisch abzutun. Einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Streits leistete schließlich 1905 ein junger Angestellter des Berner Patentamts und noch weitgehend unbekannter Physiker: Albert Einstein. Er konnte die durch Mikroskopbeobachtungen bekannte sogenannte Brownsche Bewegung von kleinen Körnchen durch zufällige Stöße von Atomen oder Molekülen erklären. Damit war eine eindrucksvolle Lanze für den Atomismus gebrochen, den bald auch die Zweifler akzeptieren mussten. Inzwischen können wir Atome mit speziellen Mikroskopen detailliert beobachten.

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Die altgriechische Wurzel des Worts Atom ist átomos, was unteilbar bedeutet. Mittlerweile ist allerdings klar, dass Atome aus noch kleineren Teilchen bestehen. Im Kern der Atome ist die Masse konzentriert. Er besteht aus elektrisch positiv geladenen Protonen und neutralen Neutronen, die ihrerseits aus noch kleineren Teilchen zusammengesetzt sind – den Quarks. Der Atomkern wird umgeben von negativ geladenen Elektronen.

Je nachdem, wie viele Protonen ein Atom hat, handelt es sich dabei um ein bestimmtes Element. Ungeladene Atome besitzen gleich viele Protonen wie Elektronen. Gibt es einen Überschuss oder Mangel an Elektronen, hat man es mit geladenen Atomen zu tun – sie werden Ionen genannt. Atome des Elements Wasserstoff bestehen beispielsweise aus einem Proton, einem Elektron und keinem Neutron. Heliumatome wiederum setzen sich aus zwei Protonen, zwei Neutronen und zwei Elektronen zusammen. Das Element mit der größten Anzahl an Protonen ist nach derzeitigem Stand Oganesson – es besitzt gar 118 Protonen, 176 Neutronen und 118 Elektronen. Sollte man Oganesson also unbedingt als Rekordhalter im Langzeitgedächtnis abspeichern? Nicht unbedingt, denn es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis ein Element entdeckt wird, dessen Atome noch mehr Protonen aufweisen.

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Schon im antiken Griechenland haben sich die Menschen Gedanken darüber gemacht, aus welchen Elementen oder Essenzen alles in der Welt besteht. Eine beliebte Vorstellung war damals, dass es vier Grundelemente gibt: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Etliche griechische Denker stellten sich vor, dass alles Seiende aus einer Mischung dieser vier Elemente besteht – diese Ansicht kommt beispielsweise in den philosophischen Dialogen von Platon zum Ausdruck.

Ein anderes Thema, mit dem sich Platon intensiv in seinen Schriften beschäftigte, hat auf den ersten Blick wenig mit Chemie zu tun: Im Dialog Symposion Seitdem sehne sich jeder nach seiner verlorenen Hälfte. »Jeder von uns ist daher nur ein Teilstück eines Menschen«, wird Aristophanes von Platon zitiert, »da wir ja, zerschnitten wie die Schollen, aus einem zwei geworden sind. Jeder sucht demnach beständig sein Gegenstück.«4